Sonntag, 17. April 2022

Die Geburt der NVIS

 


NVIS heisst Near Vertical Incidence Skywave. Damit ist die Steilstrahlung - nahe des Zenits - einer Radiowelle gemeint. Wie ein Springbrunnen ihren Wasserstrahl in den Himmel schiessen lässt, strahlt dabei die Antenne senkrecht in die Ionosphäre. Da man in der deutschen Sprache leicht neue Wörter "basteln" kann, könnte man NVIS zum Beispiel mit "Zenitnahe Raumwelle" übersetzen, abgekürzt ZNR.   

Für die meisten Funkamateure ist solches Tun ein Graus. Nein, nicht das Wörterbasteln, sondern die Vergeudung von HF Richtung Zenit. Sie möchten mit der Kurzwelle in der Regel grosse Entfernungen überbrücken um ferne Länder zu erreichen (DX). Dazu braucht es möglichst flache Abstrahlwinkel. Das wird mit hoch aufgespannten Dipolen, Vertikalantennen und Dipolen zu erreichen versucht. Steilstrahlung ist bei DX-Verbindungen pure Verschwendung. Trotzdem:

Auch Funkamateure benutzen die Steilstrahlung, wenn sie über einige 10 oder 100km mit ihren Kollegen sprechen oder morsen. Das funktioniert, je nach Sonnenaktivität, Tages- und Jahreszeit auf den längeren Kurzwellenbändern (40 bis 160m) ziemlich gut. Denn viele der aufgespannten Drähte sind auch recht passable Steilstrahler. Nur die Besitzer von Vertikalantennen sind nicht so glücklich und haben in lokalen Kurzwellenrunden einen schweren Stand. Denn ihre Antennen haben ausgerechnet in der Vertikalen ein Strahlungsminimum - quasi einen blinden Fleck. Benutzer so genannter Magnetloop Antennen haben beides. Die kleinen Ringe sind weder Fisch noch Vogel. Sie strahlen - vertikal aufgestellt - in allen Elevationswinkeln zugleich. Lustigerweise auch in Bodennähe. 

Aber auch die Benutzer von aufgespannten Drähten haben beim Aufbau ihrer Antennen meist nicht die Steilstrahlung im Kopf. Sie ist meist ein Abfallprodukt zu tief aufgehängter horizontaler Antennen. 

Auch die Militärs hatten ursprünglich nichts mit der Steilstrahlung am Hut. Obschon gerade sie auf Verbindungen über kurze Strecken mit der Kurzwelle zählten. So verwendeten zum Beispiel die Briten im zweiten Weltkrieg fast ausschliesslich die Kurzwelle zur taktischen Kommunikation auf dem Schlachtfeld. Zum Beispiel das Wireless Set Nummer 22. Eine Kurzwellenstation für den taktischen Einsatz mit 1.5 Watt Ausgangsleistung in CW und 1 Watt in AM. Die Einseitenband Modulation (SSB) wurde zwar bereits in den 30er Jahren erfunden, hatte aber noch nicht in die Militärkommunikation Einzug gehalten. Der Frequenzbereich von Nummer 22 überstrich den Bereich von 2 bis 8 MHz. Gebräuchlich waren dabei kurze Rutenantennen und man zählte auf die Bodenwelle. Weit ging es damit aber nicht. Meist nur wenige Kilometer.

Wie bei den Briten, setzte man auch bei den Amerikanern für die taktische Gefechtsfeld-Kommunikation auf die Kurzwelle, meist zwischen 2 und 10 MHz. Die oberste Grenze lag nur bei einigen Geräten bei 20 MHz. VHF war den Fliegern vorbehalten. 

Die Leistungen waren, wie beim Set Nummer 22, gering. Auch stärkere Stationen, montiert auf Vehikeln aller Art, hatten kaum mehr als 2 bis 10 Watt. Die damaligen Handys - Manpacks genannt - waren klobig und schwer und leisteten bloss einige hundert Milliwatt. Nur Feststationen für die Kommandozentren sendeten mit einigen 100 Watt oder sogar Kilowatt. 

Alle verwendeten Stationen in der Zeit des zweiten Weltkriegs waren ausschliesslich mit Röhren bestückt. Der Transistor wurde erst im Jahre 1948 erfunden.

Die Antennen waren in der Regel kurze vertikale Ruten mit Längen zwischen 1.2 und 7.5 Metern, je nach Station. Damit waren die Antennen kapazitiv und mussten mit Verlängerungsspulen angepasst werden. Mit einem Abgriff auf der Verlängerungsspule - bzw. dem Variometer - erfolgte gleichzeitig eine Anpassung an die Ausgangsimpedanz der Endstufe. Als Gegengewicht wurde ein Erdpfahl in den Boden getrieben. Etwa so wie ich es hier beschrieben habe. Diese Antennen waren nicht sehr effektiv und reduzierten die effektive Strahlungsleistung um weitere wertvolle Dezibel. Und um zusätzliche dB bei schlechtem Untergrund und QRM/QRN. 

Die unzureichende Kommunikation trug immer wieder zu einem Desaster auf dem Schlachtfeld bei, wie zum Beispiel in Arnheim, und führte schliesslich zu einem Umdenken. Auch wenn damals der Begriff NVIS noch nicht Verwendung fand: im April 1943 wurde in einer Mittteilung der britischen Armee die Steilstrahlung empfohlen. NVIS erblickte die Schlachtfelder der Welt. Man änderte die Antennen und wies die Funker an, wie sie diese aufstellen mussten. Verwendet wurden nun endgespeiste Inverted L Antennen, bei denen der horizontale Anteil überwog. Dabei musste darauf geachtet werden, dass die Antenne nach wie vor kapazitiv war, um die Anpassung an die Endstufe zu ermöglichen. Das führte zu unterschiedlichen Abmessungen der Antennen - je nach Wellenlänge - und natürlich auch zu wesentlich längeren Antennen, die nicht so einfach im Feld aufzubauen waren wie die bisher verwendeten Rutenantennen.

Erschwerend kam hinzu, dass 1943 der Sonnenzyklus ein Minimum durchlebte. Das führte dazu, dass für NVIS längere Wellen benutzt werden mussten. Das kennen wir Funkamateure mit vielen Jahreswindungen auf der Spule gut: In Zeiten des Minimums weist das 7MHz Band meist eine tote Zone auf und ist kaum für NVIS-Verbindungen zu gebrauchen. Auch das 80m Band ist zeitweise für kurze Strecken unbrauchbar, so dass auf 160m ausgewichen werden muss. Im Sonnenmaximum ist es gerade umgekehrt: das 40m Band hat tagsüber und weit bis in die Nacht keine tote Zone und schlüpft in die Rolle des 80m Bandes beim Kurzstreckenverkehr. Sogar auf dem 10 MHz Band sind dann manchmal NVIS Verbindungen möglich.

Mit der Einführung von NVIS- anstelle der Bodenwellen-Verbindungen erhöhte sich die Reichweite drastisch. Später bei den Kriegen in Südostasien setzten die Militärs hauptsächlich auf diese Art der Kommunikation.

Wie gesagt, DXer interessiert NVIS meist wenig bis gar nicht. Um mit Kollegen, die nicht direkt auf UKW zu erreichen sind, zu klönen, gibt es ja die VHF/UHF Relaisstationen. Doch wer im Alpental wohnt und durch einen hohen Horizont "geschädigt" ist, kommt nicht umhin, sich mit dem unbekannten Wesen "Ionosphäre" näher zu befassen. Aber auch Notfunker und SOTA Gipfelstürmer tun gut daran, sich über NVIS Gedanken zu machen. Welche Bänder sind wann für NVIS geeignet? Welche Rolle spielt dabei der Sonnenzyklus? Wie hoch muss die Antenne aufgehängt werden, um eine maximale Steilstrahlung zu erzielen? Welche Rolle spielt der Untergrund, auf den ich, wenn's hoch kommt, ein paar Radials werfe oder in den ich zur Not einen Erdpfahl einschlage?

Doch darüber mehr in meinem nächsten Blogeintrag  

Bild: Die Insel Ogoz im Greyerzersee, die nur bei Niedrigwasser zu Fuss erreicht werden kann. 

Quellen: 1und 2

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