Dienstag, 21. April 2020

Ein Blick aus dem Anstaltsfenster


Auch in der Anstalt herrscht Ausnahmezustand. Keiner kann raus, keiner rein. Rien ne vas plus. Die Wärter Pfleger tragen Masken und wir sitzen die meiste Zeit in unseren Zellen Zimmern und drücken uns die Nasen an den Fensterscheiben platt. Damit keiner entwischt rausfällt hat es davor noch einige Eisenstäbe.
Eigentlich ist es hier wie in der Aussenwelt.
Unter den Insassen Patienten gehen die Meinungen genauso auseinander wie draußen.
Einige glauben, dass es sich um eine Verschwörung des Anstaltsdirektors mit den Bilderbergern handelt um uns alle zu kujonieren. 
Andere wiederum führen ins Feld, dass das neue Virus nur das Neunzehnte einer ganzen Reihe sei: darum heiße es Covid-19. Und daher nicht schlimmer als ein gewöhnlicher Schnupfen. Wie auch immer: es gibt so viele Theorien wie die Anstalt Bewohner hat.

Doch die Isolation setzt uns weniger zu als den Menschen außerhalb. Erstens haben die Wärter Pfleger wirksame Spritzen bereit, die sie jedem in den Arsch jagen, der auszuticken droht. Zweitens sind wir Anstaltsbewohner alle schon über den Zustand des Austickens hinweg, sonst wären wir ja nicht hier.

Was uns alle etwas irritiert, ist die Maskenpflicht, wenn wir unsere Zellen Zimmer verlassen müssen. Herrschte doch noch vor kurzem ein striktes Vermummungsverbot. Die Ampelfrau - die mit dem roten und dem grünen Auge - geisterte mal in einer Burka durch die Gänge und hat damit die Direktion in helle Aufregung versetzt. Man fürchtete Nachahmer. Doch heute würde kein Hahn mehr danach krähen, vermute ich.
Trotzdem bekam mein Kollege Armin kürzlich Probleme, als er seine Maske als Kopftuch trug.

Gut, dass unsere Anstalt nicht pleite gehen kann, wie viele Unternehmen in der Aussenwelt. Denn unser irres "Geschäft" brummt, und was man nicht geschlossen hat, kann man nicht wiedereröffnen. Der Exit ist also nur ein Thema für die unter uns mit den Fluchtplänen. Geschäftspläne hat hier keiner. Es gibt ja nur den Schwarzmarkt und das ist ein reiner Tauschmarkt: Pillen gegen Schnaps und so.

Einigen fehlt der Frisör, der ab und zu auf die Stör kam. Vielleicht würden sie ihn ja reinlassen, aber ich habe gehört, dass er Pleite gegangen sei. Ein ganz normaler Vorgang in einem kapitalistischen System. Unternehmen gehen Bankrott wenn ihr Geschäftsmodell nicht mehr gefragt ist oder sich die Marktbedingungen ändern und sie nicht kreativ genug sind, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen. 
Da seit einiger Zeit die Kondensstreifen am Himmel fehlen, vermute ich, dass nächstens die Flugbranche Pleite geht. Wohl genauso wie Kreuzfahrer, Reisebüros, Hotels und Beizen. 
Dafür werden neue Geschäftszweige entstehen und junge clevere Menschen die verkrusteten Bankrottiere ersetzen.
Zwar schreien alle jetzt nach staatlicher Unterstützung, sogar im Land des Erzkapitalismus. Die Welt da draußen scheint Kopf zu stehen. 
Natürlich sollte ein vernünftiger Staat dafür sorgen, dass keiner verhungert, alle ein Dach über dem Kopf und medizinische Versorgung haben. Aber obsolete Geschäfte retten? Da wäre es doch gescheiter, neue zukunftsträchtige Unternehmen zu fördern. 

Aber vielleicht liegt das am Glauben jenseits des Anstaltsfensters, das neue Virus verschwinde so rasch wie es gekommen sei und alles sei dann wieder wie vorher.

Damit dieser Zustand erreicht wird, wollen die von der Wirtschaft getriebenen Politiker so rasch wie möglich die Maßnahmen lockern, die zur Eindämmung des Virus ergriffen wurden. Einige sprechen dabei von Herdenimmunität. Wieso denke ich dabei unwillkürlich an "Wahlvieh"?
Die Wirtschaft soll wieder brummen wie Autos und der "Normalzustand" des ewigen Wirtschaftswachstums wieder erreichen.

Gerade habe ich zwei Pillen erhalten: eine rote und eine blaue. Ich denke, dass ich eine davon verschwinden lassen werde, wenn der Wärter Pfleger nicht hinschaut.

Gute Reise durch die neue Welt.  

Bild: ein vierhörniges Jakobsschaf 

2 Kommentare:

  1. http://edmund.ch/more/1/FundamentalkritikZwangspsychiatrie.pdf

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  2. Zimmerkollaps. Atemnot. Zuckungen. Ich will raus! Raus aus dem Irrenhaus!

    Äh... also wenn ich richtig überlege, dann würde "raus" hier bedeuten, ich komme rein! Denn es heisst ja schon immer, wenn man das Gefühl hat, nur noch von Idioten umringt zu sein, soll man als erstes prüfen, ob man nicht selber der Idiot ist! :-) Ah ja...
    Maskenpflicht. Maskenball. Zorro. Ich brauche keine Maske. Ich ziehe mir eine Tüte über den Kopf. Komplettschutz. Nur zwei Sehschlitze, zwei Löcher für die Nase und vor allem, eine Öffnung für den Mund. Ich muss doch meinen Finger wieder sauber lecken können, wenn ich beim bezahlen meine Geheimnummer eingetippt habe. Blöder Schutz. Irgendwie nicht ganz durchdacht.
    Ich ignoriere jetzt den Virus. Der hat sich mir auch nicht vorgestellt. Pah! Ich esse nur noch Obst und Gemüse, Imunsystemstärkend! Dir zeig ich, wo der Hammer hängt!
    Wer klingelt? Ach, Pausenzeit ist um. Schon wieder zurück ins "Häusliche Glück".
    Machs gut.
    Sind wir nicht alle ein bisschen Bluna?

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