Montag, 27. Februar 2023

Bose und die Millimeterwellen

 

Bild: Parabolspiegel für Troposcatter

Kaum ein Funkamateur, der Marconi nicht kennt. Nicht persönlich natürlich, außer man wäre ein Zeitreisender, aber aus der Literatur oder zumindest vom Hörensagen. Doch Jagadish Chandra Bose ist ziemlich unbekannt. Vielleicht weil er aus Indien stammte, oder seine Entdeckungen und Versuche in Marconis Schatten standen, oder weil er bei uns im Abendland einfach in Vergessenheit geraten ist. Dabei ist Bose der Mikrowellen-Pionier schlechthin. Schon im Jahr 1897 hat er ein Konzept für einen 60GHz Empfänger publiziert. Natürlich haben sich auch die anderen Radiopioniere wie Hertz, Lebedew, Marconi, Popow und Tesla mit sehr kurzen Wellen beschäftigt, doch Bose war eine Klasse für sich. Er war seiner Zeit weit voraus.

"Wie kann das sein?", werdet ihr euch vielleicht fragen. Wie konnte man damals Mikrowellen im cm oder mm Bereich erzeugen und empfangen. Die Antwort ist einfach: Eine Funkenstrecke erzeugt Wellen über einen großen Teil des elektromagnetischen Spektrums hinweg. Man muss nur die gewünschten Wellen mit einem "Filter" aussieben und einer Antenne zuführen. Zum Empfang braucht man einen Kohärer oder einen Gleichrichter - z.B. einen Übergang zwischen unterschiedlichen Materialien. Und auch das ist keineswegs eine Erfindung der Neuzeit, wie Bose bewiesen hat.   

 Jagadish Chandra Bose wurde 1858 in Indien geboren. Er erhielt seine Ausbildung zunächst in Indien, bis er 1880 nach England ging, um an der Universität von London Medizin zu studieren. Innerhalb eines Jahres zog er dann nach Cambridge, um ein Stipendium für das Studium der Naturwissenschaften am Christ's College anzunehmen. Einer seiner Dozenten in Cambridge war Professor Rayleigh, der einen großen Einfluss auf Bose's spätere Arbeit hatte. Im Jahr 1884 erhielt Bose einen B.A. von Cambridge, aber auch einen B.Sc. von der Universität in London. Anschließend kehrte Bose nach Indien zurück und nahm zunächst eine Stelle als amtierender Professor für Physik am Presidency College in Kalkutta an, dem heutigen Kolkata. Nach dem Vorbild von Lord Rayleigh machte Jagadis Bose im Unterricht ausgiebig Gebrauch von wissenschaftlichen Demonstrationen; es wird berichtet, dass er als Lehrer außerordentlich beliebt und effektiv war. Viele seiner Schüler am Presidency College wurden später selbst berühmt - zum Beispiel S.N. Bose, der später durch die Bose-Einstein-Statistik bekannt wurde.

Das Buch  "Heinrich Hertz and His Successors" von Sir Oliver Lodge beeindruckte Bose so sehr, dass er 1894 ein Badezimmer im Presidency College in ein Laboratorium umbaute. Er führte dort Experimente zur Brechung, Beugung und Polarisation durch. Um die elektromagnetischen Wellen zu empfangen, verwendete er eine Vielzahl unterschiedlicher Metall-Verbindungen, die mit einem hochempfindlichen Galvanometer verbunden waren. Er zeichnete die Spannungs-Strom-Kennlinien seiner Übergänge detailliert auf, wobei er ihre nichtlinearen Eigenschaften feststellte. Er entwickelte die Verwendung von Bleiglanzkristallen für die Herstellung von Empfängern, sowohl für kurzwellige Radiowellen als auch für weißes und ultraviolettes Licht. 1904 erhielt er das Patent für ihre Verwendung zur Erkennung elektromagnetischer Strahlung. Im Jahr 1954 gewährten Pearson und Brattain Bose den Vorrang bei der Patentierung für die Verwendung eines halbleitenden Kristalls als Detektor für Radiowellen. Sir Neville Mott, Nobelpreisträger von 1977 für seine Beiträge zur Festkörperelektronik, bemerkte, dass "J.C. Bose seiner Zeit mindestens 60 Jahre voraus war" und sagte: Bose habe tatsächlich die Existenz von P-Typ- und N-Typ-Halbleitern vorausgesehen.

 Im Jahr 1895 führte Bose zum ersten Mal elektromagnetische Wellen vor, indem er eine Glocke ferngesteuert läuten ließ und Schießpulver zur Explosion brachte. 1896 berichtete der Daily Chronicle of England: "Der Erfinder (J.C. Bose) hat Signale auf eine Entfernung von fast einer Meile übertragen, und hierin liegt die erste und offensichtliche und äußerst wertvolle Anwendung dieses neuen theoretischen Wunders." 
 Doch Mikrowellen waren damals nicht gefragt. Die Welt wollte DX. 
Popov in Russland führte ähnliche Experimente durch und schrieb im Dezember 1895, dass er immer noch die Hoffnung hege, mit Radiowellen Fernsignale zu übertragen. 
Das erste erfolgreiche drahtlose Signalisierungsexperiment von Marconi auf Salisbury Plain in England fand übrigens erst im Mai 1897 statt. Die öffentliche Demonstration von Bose 1895 in Kalkutta geht all diesen Experimenten voraus. 
 Auf Einladung von Lord Rayleigh berichtete Bose 1897 vor der Royal Institution und anderen Gesellschaften in England über seine Experimente mit Mikrowellen. Die von ihm verwendeten Wellenlängen reichten von 2,5 cm bis 5 mm. In seinem Vortrag vor der Royal Institution im Januar 1897 spekulierte Bose über die Existenz elektromagnetischer Strahlung von der Sonne und schlug vor, dass entweder die Sonnen- oder die Erdatmosphäre dafür verantwortlich sein könnte, dass es bisher nicht gelungen war, eine solche Strahlung nachzuweisen - die Sonnenemission wurde erst 1942 entdeckt, und die 1,2-cm-Absorptionslinie des atmosphärischen Wasserdampfs wurde 1944 bei experimentellen Radararbeiten entdeckt.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts verlagerte sich das Interesse von Bose von elektromagnetischen Wellen auf Reaktionsphänomene in Pflanzen; dazu gehörten Studien über die Auswirkungen elektromagnetischer Strahlung auf die Vegetation. 1915 schied er aus dem Presidency College aus, wurde aber zum Professor Emeritus ernannt. Zwei Jahre später wurde das Bose-Institut gegründet. Bose wurde 1920 zum Fellow der Royal Society gewählt. Er starb 1937, eine Woche vor seinem 80. Geburtstag; seine Asche befindet sich in einem Schrein im Bose-Institut in Kolkata.

Wer mehr über die Experimente von Jagadis Chandra Bose erfahren möchte, findet hier interessante Erklärungen und Fotos dazu (Englisch).

1 Kommentar:

  1. Vielen Dank für diesen interessanten Beitrag lieber Anton. Ich beschäftige mich schon viele Jahre mit Mikrowellen, bin aber nie auf Jagadish Chandra Bose gestossen. Auch das Buch von Sir Oliver Lodge ist sehr lesenswert.
    Viele Grüsse vom Bodensee, Willi HB9PZK

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