Mittwoch, 21. Oktober 2020

Eintagsfliegen

 


Gestern habe ich Armin getroffen. Er ist auf Bewährung draussen. Damit das so bleibt, muss er regelmässig seine Benzos schlucken. Was Drogenjunkies teuer auf der Gasse kaufen, bekommt er von seinem Doc verordnet. Auf die Frage, was er denn so mache, draussen in der Freiheit, antwortete er:

"Zuerst mache ich jeden Morgen mein Bett."

"Weil du das in der Anstalt auch machen musstest?", wollte ich wissen.

"Nein, der Zustand meines Betts hat die Weisskittel nie interessiert. Ich mache es, weil ich es will und ich mache es ganz exakt."

Also hat er in der Klapsmühle doch einen bleibenden Schaden aufgelesen, dachte ich. 

"Es ist das erste Projekt des Tages", fuhr er fort. "Wie soll ich all die anderen Aufgaben im Verlaufe des Tages meistern, wenn ich nicht einmal diese kleine Aufgabe schaffe?"

"Ausserdem ist es eine Art vorauseilender Trost", fügte er hinzu.

Ich starrte ihn verständnislos an. Auch wenn er auf Bewährung draussen war - er hatte wohl immer noch nicht alle Röhren im Chassis. Armin bemerkte meinen Zweifel und klärte mich auf:

"Auch wenn ein Tag mal total Scheisse ist und alles schief läuft und nichts gelingt: dann erwartet dich zuhause mindestens ein gemachtes Bett, in das du dich verkriechen kannst."

Anstaltslogik, dachte ich. Doch der Admiral im folgenden Video sieht es offenbar genau gleich:

Wir plauderten dann noch über Armins andere Projekte. Hauptsächlich rund um den Funk. Aber auch da hatte er besondere An- und Einsichten:

"Ich mache kein grosses Ding mehr. Alles was ich nicht an einem Tag hinkriege, lass ich bleiben."

"Du baust also nur noch kleines Zeug. Eintagsfliegen gewissermassen", meinte ich.

"Das ist was ganz anderes. Eintagsfliegen wären Dinge, die ich dann nur einen Tag benutzen würde, und das wäre schade. Apropos Eintagsfliegen: kürzlich hatte ich ein interessantes QSO. Genaugenommen war es eine Funkrunde..."

Ich war erstaunt über den abrupten Themenwechsel und fragte: "Und da habt ihr über Eintagsfliegen diskutiert?"

"Nein. Da hat sich eine Eintagsfliege gemeldet. Ganz unverhofft und plötzlich. Ein OM, den man sonst nie auf den Frequenzen trifft. Eigentlich dachte ich, er würde gar nicht mehr funken und habe sich einem anderen Hobby zugewandt..."

"Das ist doch positiv! Der will halt wieder einsteigen," meinte ich.

"Mhm...vielleicht, aber zu seinen Bedingungen. Er erklärte der ganzen Funkrunde ohne Umschweife, dass er sich das Funken anders vorstelle. Er würde bei uns mitmachen, wenn wir in Zukunft den Ablauf unserer Verbindungen ändern würden."

"Was hat ihm denn nicht gepasst?"

"Erstens die Wetterberichte. Er meinte, dass wir ja alle so nahe beieinander wohnen würden, dass wir alle das gleiche Wetter hätten. Ausserdem könne jeder das Wetter auf dem Internet gucken. Sie seien deshalb überflüssig und Zeitverschwendung."

"Da laust mich eine Wollmilchsau", entfuhr es mir.

"Aber nicht nur die Wetterberichte, auch die Rapporte seien überflüssig. Die seien ja auch jedes Mal gleich und völlig uninteressant. Wichtig sei bloss, dass wir uns gegenseitig hören und verstehen würden."

"Er rebellierte also gegen den ungeschriebenen Kodex eurer Runde und gegen uralte Gewohnheiten der Funkergilde", grinste ich. Hast du ihn denn nicht gefragt, welche Nachrichten er anstelle von Rapporten und Wetterberichten austauschen möchte?"

"Na klar haben wir ihn gefragt. Er meinte darauf, dass wir doch Witze erzählen sollen und hat dann auch gleich ein Beispiel gebracht."

"Ein Witz? Im Ernst?"

"Nun er hat noch ein paar andere Themen vorgeschlagen. Aber keines davon hatte etwas mit Amateurfunk zu tun."

"Der hat euch doch bloss verarscht", kicherte ich. "Hat er dann bei eurem Rund-QSO mitgemacht?"

"Nein, er hat sich gleich wieder verabschiedet und ist auch später nicht mehr aufgetaucht. Er war eine Eintagsfliege.  

 


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