Freitag, 14. Dezember 2018

Ordnung ist die Abwesenheit von Chaos



"Der hat offensichtlich ein Problem mit seiner Gerhirnflora, sonst würde er nicht solch geistigen Dünnpfiff erzählen", wetterte Armin, als ich ihm von meinem Besuch beim Funkgerätehändler erzählte. Dabei hatte ich mich bloß nach einem geeigneten Funkgerät umsehen wollen. Denn ich rechnete fest damit, nächstens die HB3 Prüfung zu bestehen.

"Die Prüfungen finden nicht statt, wenn es genügend Teilnehmer hat, sondern sind fix festgelegt. Die nächste ist am 16. Januar. Ich hoffe, du hast dich bereits angemeldet. Man muss sich spätestens bis vier Wochen vor der Prüfung anmelden. Sonst musst du bis im März warten."

Armin war heute nicht gut drauf, fand ich. Normalerweise regte er sich nur auf, wenn ihn ein technisches Problem ärgerte, doch selten wegen Menschen. Aber vielleicht hatten sie ihm heute die falschen Pillen gegeben. Ob er eine rote bekommen hatte?

"Ja, ich bin angemeldet. Bienchen hat in den zweiten Gang geschaltet und bildet mich nun im Schnellverfahren aus. Wäre ja schade, wenn wir im Januar nicht bereits miteinander funken könnten. Zwar hat es bisher auf Elfmeter mit dem Präsident Jackson nicht geklappt, aber im Zehnmeter-Band werden wir es schaffen."

"Wenn es mit dem Präsident Jackson nicht klappt, wird es mit keinem anderen Präsidenten gehen", murrte er. "Der Wald und die Hügel zwischen uns fressen die Wellen auf."

"Sämu sagt, es liege am Skip und nicht am Wald. Die Ionosphäre sei im Moment schwach wegen dem Klimawandel."

Armin verdrehte die Augen.
"Wie hat der nur die Prüfung geschafft. Wahrscheinlich hat er abgeschrieben."

"Das habe ich in der Schule auch gemacht. Eine Zeit lang habe ich dem Lehrer vorgemacht, ich würde schielen. Aber ich habe eine bessere Idee: Du könntest für mich an die Prüfung gehen. Vielleicht gibt dir der Anstalts-Direktor frei."

"Ich kann hier nicht ohne Begleitung weg, das weißt du. Der Psychodoktor meint, ich würde draußen Dinge sehen, die gäbe es gar nicht und könnte dabei in Schwierigkeiten kommen. Und weißt du was? Ich glaube, er hat Recht. Bei meinem letzten begleiteten Ausgang haben die Menschen über mich gelacht und hinter meinem Rücken mit den Augen gezwinkert."

"Wieso? Hat man dir angesehen, dass du aus der Anstalt kommst? Oder musstest du eine Zwangsjacke tragen?"

"Ich weiß nicht. Vielleicht lag es an meiner Kleidung. Ich trage nämlich immer mein Pyjama darunter. So kann ich ruhig im Zug schlafen."

"Dann hattest du wahrscheinlich das Pyjama drüber und nicht drunter. Du bist ja auch sonst ein ziemlicher Chaot."

"Du irrst dich. Bei mir hat jedes Ding seinen Platz. Das ist ein Zeichen von höchster Ordnung. Nur für Außenstehende sieht es hier aus, als würde Chaos herrschen. Doch das ist nur eine Folge ihres Nichtwissens. Ordnung herrscht, wenn sich alles dort befindet, wo es hingehört. Das trifft übrigens auch auf Menschen zu. Es würde die Ordnung stören, wenn ich nicht in der Anstalt wäre. Tut mir leid, mein Freund, ich kann nicht an die Prüfung kommen. Auch nicht mit dir zusammen."

"Schade, zusammen hätte es Spaß gemacht. Du hättest dich auch anmelden können und wird hätten in der Prüfung einander abgeschrieben. Aber ich verstehe deine...besonderen Umstände. Und allmählich beginne ich auch deine Ordnung zu verstehen. Du sagst also: Ordnung sei die Abwesenheit von Chaos, weil Chaos die Abwesenheit von Ordnung sei und beide nie gleichzeitig existieren könnten."

"Genau. Daher ist Ordnung unsichtbar und vermeintliche Ordnung oft nichts anderes als Chaos und vermeintliches Chaos manchmal Ordnung. Die Ordnung ist ein extrem empfindliches Wesen und es gibt kaum ein Ding auf dieser Welt, das sich so leicht zerstören lässt wie Ordnung."

Bild: SOS: Save our Souls. Seele 18 konnte nicht gerettet werden, aber das Meer hat sie gnädigerweise an den Strand gespült.

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