Samstag, 1. Dezember 2018

Gedankenspiele



Heute hatte ich wieder Unterricht bei Bienchen. Aber ich war nicht richtig bei der Sache und grübelte immer wieder über meine Träume der vergangenen Nacht.

"Hörst du mir überhaupt zu?" Fragte mich Bienchen, faltete ihre Stirn zu einer Furche und musterte mich über den Brillenrand.

"...doch, doch...aber ich hatte gestern Nacht eine Begegnung mit Herrn Fourier - natürlich nur im Traum."

"Jean Babtiste Joseph Fourier, wie ich deine nächtlichen Zeitreisen kenne."

"Genau der. Und er hat mir erklärt, wie das mit dem Wirkungsgrad und der Batterie funktioniert. Und ich frage mich noch immer, wieso man nicht mehr als die Hälfte der Energie aus der Quelle rausbekommt."

Bienchen starrte mich an, als wäre ich ein Alienmonster.
"Du bringst wieder mal alles durcheinander. Dabei haben wir das doch schon vor zwei Wochen besprochen. Außerdem konnte das der Joseph damals noch gar nicht wissen."

"Aber du hast mir doch erklärt, dass eine Batterie ihre maximale Leistung abgibt, wenn der angeschlossene Lastwiderstand gleich gross ist wie der Innenwiderstand der Batterie. Und in diesem Fall wird am Innenwiderstand genau gleich viel Energie verheizt wie an der Last. Ich erinnere mich noch genau, den wir haben über Norton und Thévenin gesprochen und den beiden bin ich in meinen Träumen noch nie begegnet."

"Ach so, jetzt bringst du noch die beiden ins Spiel. Ich denke du verwechselst etwas Grundsätzliches. Selbstverständlich kann man einer Spannungsquelle oder eben einer Batterie die maximale Leistung nur entlocken, wenn Rl = Ri ist. Aber kein vernünftiger Mensch tut sowas. Das würde eine Batterie innert kürzester Zeit in den Exitus treiben. Stell dir deine arme Autobatterie vor. Auch in deinem alten Opel hat die sicher um die 10 Milliohm Innenwiderstand. Wenn du 10 Milliohm als Last dranhängst fliessen da mal kurz 600 Ampère. Da hast du dann einige Kilowatt Leistung, die sich Innenwiderstand und Last teilen müssen. Das gibt ein tolles Feuerwerk. Dabei können wir glatt vernachlässigen, dass der Innenwiderstand lastabhängig ist. Sowas tut man einer Batterie nicht an."

"Dann ziehe ich praktisch immer viel weniger Energie aus einer Batterie als maximal möglich ist?"

"Vernünftigerweise Ja."

"Aber dann sinkt doch der Wirkungsgrad meiner Quelle weit unter 50%!"

"Falsch. Maximal mögliche Leistungsentnahme und Wirkungsgrad sind zwei verschiedene Paar Stiefel. Das ohmsche Gesetz solltest du ja beherrschen, dann kannst du es selbst ausrechnen. Je größer der Lastwiderstand ist, desto besser der Wirkungsgrad der Quelle.


"Mhm...das mag ja auf eine Batterie zutreffen, aber wie ist es dann zum Beispiel mit einem Sender. Der ist ja eigentlich nichts anderes als eine Wechselstromquelle. Gelten da nicht andere Regeln. Da habe ich doch komplexe Impedanzen und der Sender muss am Ausgang 50 Ohm haben um perfekt an das 50 Ohm Koaxkabel angepasst zu sein. Innenwiderstand und Last sind also gleich gross. Ergo kann mein Sender nie mehr als 50% Wirkungsgrad haben."

"Das ist ein Fehlschluss. Aber vereinfachen wir das Ganze mal ein wenig. Vergiss komplexe Impedanzen, vergiss die 50 Ohm Leitung und lass uns nur von reellen Widerständen sprechen. Darum hängen wir am Senderausgang gedanklich einfach einen Dummy Load an, eine Kunstlast ohne Blindwiderstand."

"Aber wir haben ja Wechselstrom. Der Sender durchfährt doch dauernd die Sinuskurve und Spannung und Strom sind jeweils nur nach 180 Grad wieder gleich. Da müssen wir doch mit komplexen Zahlen Rechnen, sonst blicken wir nicht durch!"

"Ach was! Vereinfachen wir die ganze Chose einfach noch weiter und nehmen anstelle eines Sinus einen ordinären Rechteck. Nehmen wir an, der Sender habe eine Gegentaktendstufe mit zwei MOSFET und steuere diese abwechslungsweise voll durch. Wir haben also nach wie vor einen Wechselstrom." Bienchen schenkte mir ihr schönstes Haifischlächeln.


"Aber diese MOSFET haben ja einen sehr kleinen Durchlasswiderstand. Wenn der quasi dem  Innenwiderstand des Senders entspricht, wie komme ich dann auf die 50 Ohm meines Dummy Loads, den ich angeschlossen habe."

Bienchen gluckste.
"Das brauche ich doch gar nicht für diesen dämlichen Dummy. Wie wir vorhin besprochen haben, wird die maximal mögliche Leistungsabgabe des Senders zwar nicht erreicht. Dank des sehr kleinen Innenwiderstandes der Endstufe haben wir aber einen hohen Wirkungsgrad. Je nach Transistoren weit über 90%."

"Schön und gut, aber wenn ich jetzt mein Koaxialkabel mit 50 Ohm Impedanz anhänge, funktioniert es nicht mehr!", trumpfte ich auf.

"Dafür gibt es Transformatoren."

"Das ist doch verrückt. Du vereinfachst die Sache bis zur Unkenntlichkeit."

Bienchen zuckte die Schultern.
"Es ist besser, die Dinge zu vereinfachen um sie zu begreifen. Sie werden dann später von selbst wieder kompliziert.
Aber genauso funktioniert es. Häng' nach dem Trafo noch ein Tiefpassfilter dran um den Herrn Fourier mit seinen Harmonischen zu unterdrücken, und du hast zum Beispiel einen einfachen aber hocheffizienten Telegrafie-Sender."

"Aber manche Funker haben auch ein Mikrofon und möchten den Sender gerne modulieren. Was jetzt Bienchen? Jetzt wird es doch kompliziert!" Ich versuchte ihr Haifischlächeln zu imitieren.

"Ganz und gar nicht, mein lieber Funkerlehrling. Ich mache einfach Pulsbreitenmodulation. Das ist ein variables Rechteck-Signal. Der Wirkungsgrad bleibt somit hoch. So funktionieren moderne Audio-Endstufen und übrigens auch Hörgeräte. Die Kunden freuen sich, wenn sie dank des hohen Wirkungsgrades weniger oft Batterien wechseln müssen," grinste sie zurück.
"Ich brauche das Audiosignal (grün) nur mit einem Sägezahn (blau) zu takten, wie du hier sehen kannst:"


"Und wenn ich jetzt nicht eine Pulsbreitenmodulation aus meiner Senderendstufe oder dem Audioverstärker möchte, sondern ein wunderschönes Sinussignal. Dann ist doch alles futsch und der Wirkungsgrad im Keller!"

"Genau so ist es. Es gibt ja die verschiedenen Senderklassen von A bis C. A ist rein und fein und C ist gruselig verzerrt und bloss für FM geeignet. Je mehr du dich vom Rechteck entfernst, desto schlechter wird dein Wirkungsgrad. Denn bei einem Sinus sind deine Transistoren nur an zwei Punkten innerhalb 360Grad voll durchgesteuert. Und das auch nur im Idealfall. bei voller Aussteuerung. Aber wer sendet denn heute noch sowas."

"Vielleicht die, die keine Oberwellen möchten. Dieses Rechteck-Signal hat doch jede Menge Harmonische."

"Jetzt kannst du wieder von deinem Joseph Fourier träumen, wenn du es genau wissen möchtest. Aber so schlimm ist es nicht. Ein Rechteck hat bloss die 3., die 5., die 7. Harmonische etc. intus - keine Geradzahligen. Wobei die 3. ein Drittel der Amplitude des Grundsignal hat und die fünfte 1/5 beziehungsweise die siebente 1/7. Wenn du deinen dB Rechner anwirfst, wirst du feststellen, dass da nichts ist, was ein gutes Tiefpassfilter nicht wegkriegen könnte. Das verschlechtert den Wirkungsgrad zwar wieder ein wenig, aber ein bisschen Wärme kann ja nie schaden. In einem Hörgerät übernimmt übrigens der winzige Lautsprecher die Rolle des Tiefpasses."

"Jetzt raucht mir aber gewaltig der Kopf. Ich glaub' ich werfe nicht den Rechner an, sondern weg."

"Den brauchst du aber noch für die Prüfung."







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