Mittwoch, 31. Oktober 2018

Der gedengelte WOK



Gestern war ich wieder bei Armin in der Anstalt. Diesmal schien es kein Traum zu sein, denn Putin sass auf seinem Traktor, sang Highway to Hell und kurvte über den Rasen. Auch Armin spann kein verrücktes  Doomsday Szenario. Dafür erzählte er mir eine spannende Geschichte, die mich an meinen Großvater erinnerte. Dieser war ein einfacher Bauer und die schönsten Momente, die ich mit ihm verbracht hatte, waren mit ihm auf der Bank hinter der alten Tenne zu sitzen, wenn er seine Sense dengelte. Dann erzählte er mir Geschichten von früher.
Armins Geschichte jedoch handelte nicht von früher, sondern von der gegenwärtigen Wirklichkeit, soweit ich das beurteilen konnte. Genau genommen, aus einer seiner Wirklichkeiten. Denn Armin war nicht zu seinem Vergnügen in der Anstalt, sondern wegen seiner Schizophrenie.
Dabei ist Armin nicht kränker als ich, er lebt nur in anderen parallelen Welten und kann Erinnerungen an Träume kaum von Erinnerungen an wirkliche Ereignisse auseinander halten. Aber das kann ich auch nicht.

"Kürzlich habe ich einen befreundeten Funkamateur getroffen", berichtete mir Armin. "Der funkt mit Mikrowellen, mit unglaublichen 10'368 MHz."

Bienchen hatte mir beigebracht, wie man aus der Frequenz die Wellenlänge berechnet. So  dividierte ich die Lichtgeschwindigkeit durch die Frequenz. Da mir ein paar Schuljahre fehlen, kann ich schlecht im Kopf rechnen. Aber als Armin zum Fenster hinausblickte, tippte ich die Zahlen heimlich in den Rechner meines Smartphones.

"Etwa 3 cm Wellenlänge", sagte sagte ich. Gut, dass mir Bienchen einen Trick beigebracht hatte: "Du brauchst nur 300 durch Megahertz zu teilen und schon hast du die Wellenlänge in Meter", hatte sie gesagt.

"Wo hast du denn plötzlich Rechnen gelernt?", staunte Armin.

Das wollte ich ihm nicht erklären. Deshalb sagte ich:

"Das ist im Vergleich zum Elfmeterband nur ein Fliegenschiss. Da werden die aber nicht weit kommen. Elfmeter Jedermannfunk geht manchmal bis Südamerika."

"Dafür sind die Mikrowellen-Antennen auch nicht so sperrig. Die verwenden nämlich Satellitenschüsseln oder Antennen, die aussehen wie übergroße Autoscheinwerfer. Dabei ist meinem Freund ein Unglück passiert. Er ist nämlich ein Meister der Improvisation und ein begeisterter Anhänger von Schraubzwingen."

"Das muss etwas Karmisches sein. Vermutlich war er früher ein Folterknecht und arbeitete mit Daumenschrauben", sinnierte ich.

"Wie dem auch sei, er befestigt all seine Antennen mit Schraubzwingen - normalerweise. Aber aus mir unbekannten Gründen hat er kürzlich die Schraubzwinge vergessen. Schlimmer noch: er hat für seine Antenne eine Wippe gebaut."

"Vielleicht hat er zuviel DMR gemacht", grinste ich. "Du weisst schon: Demenzradio."

"Oder einfach zuviel Tastenöl getrunken. Das braucht man zum schmieren von Morsetasten."

"Tastenöl? Das ist doch giftig!"

"Das trifft nur auf Mineralöl zu, seins ist jüngeren Ursprungs. Das wird übrigens mit dieser Einrichtung hergestellt". Armin zeigte mir das Bild eines seltsamen Laboratoriums:


"Ob Tastenöl oder DMR, das Resultat seiner Schraubzwingen-Vergesslichkeit war fatal. Er stellte seine Wippe auf den Fenstersims und darauf dann seine Autoscheinwerfer-Antenne, die aussieht wie ein WOK. Im Verlaufe seiner Mikrowellen-Experimente kippte die Wippe und seine WOK-Antenne geriet in den Sog der Gravitation vor dem Fenster."

"Was wollte er denn mit der Wippe? Muss die Antenne bei 3cm Wellenlänge gewippt werden, damit sie besser funktioniert?"

"So ähnlich: er wollte ihr etwas Elevation geben."

Elevation? Das klang wie Levitation - wohl etwas Esoterisches, dachte ich. "Und dann? War die WOK-Antenne kaputt? Was ist so besonderes an der Geschichte? Tagtäglich fallen Blumentöpfe von Fenstersimsen."

"Mein Freund hatte Glück. Es war kein Totalschaden, nur eine Beule." Eigentlich sagte Armin nicht Glück, sondern Schwein, wie das in unserem Dialekt üblich ist. Aber ich weiss nicht, ob all meine Leser Schweizerdeutsch verstehen. Item: die WOK-Antenne war kaputt, wenn ich die Story richtig begriffen hatte.

"Er hat sie wieder zurecht gedengelt", sagte Armin. "Obwohl ihm geraten wurde, den Beulen-WOK ins Altmetall zu werfen. Das ist der Clou der Geschichte."

"Wie mein Großvater die Sense. Eine Fertigkeit, die heutzutage nur noch wenige beherrschen." Ich war beeindruckt.

"Tja, er ist eben ein Problemlöser, und offenbar hat es geklappt. Das Teil funzt wieder wie zuvor."

"Mhm...glaubst du, dass man auch einen Autoscheinwerfer wieder dengeln kann, wenn er eine Beule hat? Der auf der linken Seite meines Opels hat nämlich eine."

"Das ist normal. Links ist immer eine Beule. Aber dengeln nützt da nichts. Die Wellenlänge des Lichts ist so klein, dass auch feinste Unregelmässigkeiten auffallen."

"Wo liegt denn die Dengel-Grenze...ich meine so in Wellenlängen ausgedrückt?"

"Die Faustregel ist: bei einem Zehntel der Wellenlänge. Das wären dann 3mm in diesem Fall. Im Prinzip könnte man so eine Parabolantenne auch mit dem 3D-Drucker herstellen und sie mit Haushaltfolie auskleben. Kleine Unregelmässigkeiten würden da kaum eine Rolle spielen."

"Das ist spannend. Wenn ich die HB3 Prüfung schaffe, möchte ich auch Mikrowellenfunker werden."

"Mikrowellen sind für HB3er tabu. Da müsstest du schon die HB9er machen. Die müssen aber mehr Antworten auswendiglernen."



     

Sonntag, 28. Oktober 2018

Surpriseparty Zofingen


Gestern war es soweit. Ich durfte Sämu, den Trucker, zum Flohmarkt der Funker begleiten. Die Fahrt war angenehm in Sämus altem Benz. Doch halb sechs war reichlich früh. Die Autobahn war jedoch schon vollgestopft mit Autos und ich fragte mich, wo die so früh an einem verregneten Samstag hinwollten.
"Früher war zu dieser Zeit kaum jemand unterwegs", sagte Sämu. "Und wenn du mal einem anderen anderen Wagen begegnet bist, hatte der bestimmt eine Funkantenne auf dem Dach, und du konntest sicher sein, dass er ebenfalls zum Flohmarkt unterwegs war."
Immerhin gerieten wir in keinen Stau und Sämu konnte den Wagen in der Nähe der Flohmarkthalle parken. Sie war noch nicht geöffnet. Doch eine ganze Schlange Leute wartete bereits vor dem Eingang. Wie Schafe standen sie geduldig im Herbstregen. Ausgerüstet mit Handkarren voller Kisten und mysteriösen Geräten.

"Wieso warten die nicht einfach in ihren Wagen, bis der Veranstalter aufschließt?", fragte ich erstaunt.

"Sie wollen zu den Ersten gehören, die eingelassen werden. Es sind jedes Jahr die Gleichen. Der dort, zum Beispiel, ist ein pensionierter Schlapphut. Übrigens total allergisch auf Morsesignale. Wenn er welche hört, schnappt er über. Und der andere Typ dort drüben bringt jedes Jahr die gleiche Ware mit und karrt sie am Ende unverkauft wieder nach Hause. Es gibt bei allen Veranstaltungen immer Leute die wollen die Ersten sein, obschon ihnen daraus kein wirklicher Vorteil erwächst. Denk mal an die Spinner, die vor dem Apple Shop campieren, wenn ein neues Smartphone erscheint!"

"Woher haben die denn das viele Zeug? Schau mal den dort, der hat eine ganzen Zug von Handkarren dabei und kann sie nur mit Mühe im Zaum halten."

"Das kommt darauf an", meinte Sämu. "Die einen sind altersbedingt zu der Einsicht gelangt, dass sie ihren Plunder nicht ins Jenseits mitnehmen können und ihre Erben das Zeug auf den Schrottplatz bringen müssen, andere wollen schlicht ihre Rente aufbessern oder sich mit dem Erlös ein neues Gerät kaufen. Und dann gibt's noch die Typen, die ihre alte Firma geplündert haben, als sie pleite ging oder geschlossen wurde."

"Geklaut?"

"Kaum. Einfach erschnorrt haben sie das Zeug. Oder im Abfallcontainer gewühlt. Manchmal zwar am Rande der Legalität. Aber klauen tun die wenigsten.
"Zu welcher Sorte gehörst du, Sämu?"
"Ich habe einfach Spaß am Flohmarkt, und wenn dabei noch der eine oder andere Franken rausschaut, habe ich noch mehr Spaß,"

Während die Kolonne im Regen immer grösser wurde, gingen Sämu und ich Kaffee trinken und Gipfel essen. Dann half ich ihm, sein Zeug reinzuschleppen und auf den Tisch zu hieven.

Eine Weile schlich ich um Sämus Tisch herum und beobachtete ihn und seine Kunden. Zu tun hatte ich ja nichts und ich kannte niemanden aus dieser eigenartigen Gesellschaft.

Was mir sofort auffiel war, dass es sich zum grössten Teil um alte Männer handelte. Plus minus Pensionsalter. Viele schätzte ich eher im Plus. Junge oder Frauen fielen auf wie bunte Hunde.

Einige kamen mehrmals vorbei und namen immer den gleichen Gegenstand in die Hand um ihn von allen Seiten zu beäugen. Ganz ohne Worte, als wäre ihnen die Zunge gezogen worden. Aber wir sind ja nicht mehr im Mittelalter wie in Saudi Arabien. Andere fragten x-mal nach dem Preis. Vermutlich eine besondere Art Gedächtnisverlust: Preis-Demenz.
Eine besondere Sorte Preis-Dementer fragt übrigens immer nach dem "letzten Preis". Im Gegensatz zum Lotto, wo jeder den ersten Preis möchte.

Als es mir bei Sämu verleidete, schlenderte ich durch die Gänge zwischen den Tischen und schaute mir die Waren an. Sie waren ganz unterschiedlich präsentiert. Die einen hübsch herausgeputzt mit polierten Knöpfen und artig drapiert wie in einem Schaufenster. Das waren die Verkaufsprofis, sagte ich mir. Vielleicht waren sie vor ihrer Pensionierung Verkäufer oder gar Marketingleiter gewesen. Oder sie hatten sogar MBA studiert. Aber die wären mir sicher durch Krawatten und gelierte Haare aufgefallen.

Andere Verkaufsstände fielen durch Türme auf. Sie erinnerten mich unwillkürlich an den Turm von Babylon. Einige italienische Türme an den schiefen Turm von Pisa. Die Geräte waren einfach aufeinandergeschichtet, so hoch wie möglich. Die Verkäufer dahinter waren kaum noch zu sehen. Eine sehr platzsparende Methode. Die Schweiz ist halt ein teures Land und der Meter Tisch kostete zwanzig Franken, wie ich erfuhr. Geiz ist zwar geil, ob er auch verkaufsfördernd ist?

Was sich nicht zu Türmen aufbeigen ließ, wurde gerne als Wühlkiste präsentiert. Diese Art von Präsentation ist aus dem Ausverkauf bekannt und ich finde, sie passt ganz gut an einen Flohmarkt. Allerdings erwartet der Kunde in der Wühlkiste keine wertvollen Dinge. Wühlkisten drücken auf die Preise.
Das weiß ich von Armin. Der hat nämlich einen MBA. Das ist ein Studium so ähnlich wie der Master of the Universe. Er hat mir viele wertvolle Tipps gegeben. Dort lernt man nämlich so gescheite Dinge wie: "Buy low, sell high."
Das ist mir bei einem Verkäufer aus dem Süden aufgefallen. Der hatte jede Menge Material aus China, das er sich günstig auf Ebay besorgt hatte und nun teuer an die alten Schweizer Rentner verkaufte, die Ebay und Alibaba nicht kennen.
Wieso ich das weiß? Ich habe mit dem Mann gesprochen. Er hat mir auch erklärt, was die kleinen vergoldeten Dinger waren, die er haufenweise im Angebot hatte: so genannte SMA-Stecker.
Das war echt neu für mich, denn mein Präsident Jackson hat einen UHF Stecker. Der ist übrigens viel praktischer, da passt zur Not auch ein Bananenstecker rein.

Apropos Präsident Jackson. Zweimal hab ich auf meinem Rundgang so ein Teil entdeckt und ich hätte beinahe eins gekauft. Denn ich hänge sehr an meinem Präsidenten und es würde mich schmerzen, wenn er eines Tages seinen Geist aufgeben würde. Da wäre es doch gut, einen auf Reserve zu haben.
Leider waren beide Präsidenten-Verkäufer wenig zugänglich und zeigten kaum Interesse. Ja, sie demonstrierten deutlich ihren mangelnden Verkaufswillen. Der eine pfiff unbeeindruckt vor sich hin und wühlte in einer Kiste, als ich ihn ansprach. Der andere bestrafte mich mit einem abschätzenden Blick. Wahre Profis und eigentlich untypisch für Welschschweizer. Aber vielleicht waren es ja Franzosen. Die sind manchmal etwas arrogant. Hundertfünfzig Franken für einen Präsidenten waren mir zuviel und so verzichtete ich auf diese Ausgabe zum Zweck der Redundanz. Für einen AHV-Rentner ist das halt viel Geld. Abgesehen davon, dass ich den Verdacht hege, dass ich schon bald meinen Opel Rekord ersetzen muss. Trotz dem neu geschweißten Auspuff.

Die meisten Geräte und Bauteile waren für mich Neuland. Ich wusste nicht, worum es sich dabei handelte. Und so bat ich Sämu, mich auf einem Rundgang durch die Halle zu begleiten, als sich die Reihen seiner Käufer lichteten. Sämu ist ja CB-Veteran und HB3er Spezialist und konnte mir das meiste erklären. Obwohl ich manchmal nur "Bahnhof" verstand, gelang es ihm, meinen Horizont etwas zu erweitern.

"Die dort oben auf der Bühne", erklärte er mir, "sind eine eigene Gesellschaft." Er deutete auf ein Podest am Ende der Halle. So eine Art Tanzbühne.

"Aha, deswegen haben sie sich in die Höhe abgesondert. Wieso gehören die nicht zur Kaste der Funker?"

"Das sind Radiosammler. Eine besondere aber aussterbende Spezies. Seit in Europa die Mittelwellensender abgeschaltet wurden, bleiben ihre alten Kisten stumm. Die Apparate spielen nicht mehr."

"Und jetzt wird auch noch UKW durch DAB ersetzt", warf ich ein.

"Das wird die dort unten auch noch treffen." Er deutete hinunter in den Flohmarkt der Funker. "Nur wissen sie es noch nicht. Amateurfunk wird immer mehr durch FT-8 und DMR ersetzt."

"FT-8 kenne ich nicht. Aber DRM...mhm....das klingt wie eine Abkürzung für mein neues Blog Demenzradio: DMR."

Sämu grinste und deutet auf die uralten Radioapparate, Bücher und Bauteile:
"Es ist tragisch. Da steckt viel Herzblut drin. Weniges wird irgendwo in einem technischen Museum landen, das meiste wird aber von den stählernen Zähnen der Schrottverwerter zermalmt werden. Die Erben werden fluchen, wenn sie den Plunder räumen müssen."

Etwas deprimiert stiegen wir wieder hinunter in das Gewühle des Funkermarktes. Nostalgiker, die sich an ein sterbendes Hobby klammerten, dachte ich. Trotzdem: gewisse Dinge sollte man ruhig seinen Erben überlassen.

Doch Sämu zerstreute meine trüben Gedanken mit einem Ausruf:

"Siehst du diese Kisten dort. Das sind Yesus. Gute Geräte, leider aus dem Rahmen der Zeit gefallen. Sie haben keinen Bildschirm. Der angeschriebene Preis ist daher viel zu hoch und der Verkäufer wird sie heute Abend wieder nach Hause nehmen."

"Jesus Geräte? Aus den Werkstätten des Vatikans?"

"Nein, Y.A.E.S.U. Aus Japan. Die haben andere Götter. Früher hießen die Dinger in Europa auch Sommerkamp."

"Wieso denn das?"

"Das war der Name des Generalimporteurs und der fand seinen Namen viel prägnanter als Yaesu."
"Und dort drüben, diese Kisten mit den gelochten schwarzen Gehäusen: Das sind Drake. Eine legendäre amerikanische Marke, die schon lange untergegangen ist..."

"...wie die Titanic..."

"Viel zu teuer", bemerkte Sämu. Die haben nur noch Nostalgiewert. Aber die Verkäufer rechnen noch immer in Kilopreisen. Waren wohl früher Gemüsehändler."

"Einige waren wohl Fischhändler", entgegnete ich. "Der Stand vorhin roch seltsam."

"Er müffelt", grinste Sämu. Nicht der Verkäufer, es sind seine Geräte. Sieh mal wie dreckig die sind. Gelb die Skalen, die Knöpfe voll mit Handcreme und Fettresten. Da müsste man mit dem Kärcher dahinter. Diesen Güsel kauft doch keiner, ohne sich vorher mit Schnaps desinfiziert zu haben."

"Und trotzdem will er noch so viel Geld dafür?"

An zwei Enden der großen Halle trafen wir auf lange Stände mit einer Schar fleißiger Verkäuferinnen und Verkäufer. Sie boten offensichtlich Neuware an und machten gute Geschäfte. Trauben von Käufern schwirrten um die Stände und verwickelten die Verkäufer in ausufernde Gespräche. Sachkenntnis wurde demonstriert, der Dunning-Kruger-Effekt strapaziert.
Der eine Stand sah aus wie ein improvisierter Schuhladen. Der am anderen Ende setzte voll auf Chaos. Ein interessantes Verkaufskonzept. Doch die Kunden schien es nicht zu stören. Sie wühlten in den Kisten.

An einem Gerät blieben Sämus Augen eine Weile hängen. Es stand auf Augenhöhe und wurde von einer kleinen Lampe beleuchtet. Man sah: der Anbieter verstand etwas von seinem samstäglichen Metier.

"Das ist ein Sommerkamp FT-102", flüsterte Sämu fast andächtig.

"In der Tat, ein sehr schönes Gerät", bemerkte ich. "Wär das nichts für mich? Ich meine, wenn ich die HB3er habe?"

"Nein. Leider nein. Es ist ein altes Gerät. Zwar kräftiger als manch modernes Zeug, mit drei Röhren in der Endstufe. Aber auch reparaturanfällig. Die Relais zum Beispiel musst du auf jeden Fall auswechseln und die Elkos auch. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Und schau mal: der VFO hat einen Backlash. Da ist kein Encoder, der dahinter steckt, das ist ein überfetteter Skalentrieb."
Er drehte am Abstimmknopf und als er ihn losließ sah ich tatsächlich, wie sich der Knopf ein klein wenig wieder zurück bewegte.
"Wen's stört", brummte ich.

"Der Empfänger besitzt zwar keinen Splitbetrieb aber er ist so gut wie bei neueren Geräten, und der Sender hat viel Power. Aber das Teil ist leider eine Kummerkiste. Museum oder Schrottplatz ist seine Bestimmung, und da liegen fünfhundert Stutz nicht drin."

Aha, dachte ich: Präsentation Spitze, Preis Illusion.

So schlenderten Sämu und ich noch eine Weile durch die Reihen und er wusste fast zu allem einen Kommentar. Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.

"Schade, dass Armin nicht mitkommen konnte", sagte ich. "Aber er muss in der Anstalt bleiben. Ausgang liege nicht drin, hat mir sein Doc gesagt. "Er hätte hier eine Panik-Attacke bekommen".

"Die hab ich manchmal auch und ich frage mich jedesmal, wieso ich eigentlich hierher komme."

Freitag, 26. Oktober 2018

Der Sonnensturm



Gestern war ich wieder in der Anstalt. Nicht weil mich mein Psychiater dort einquartiert hat, sondern um Armin zu besuchen.
Schon als ich den Opel parkte - Bienchen hat den Auspuff inzwischen wieder angeschweißt - fiel mir auf, dass etwas nicht stimmte. Allerdings vermochte ich nicht zu sagen, was es war. Es war so ein eigenartig flaues Gefühl im Magen und ein Kribbeln im Nacken.
Zwar sass Putin, der Hausmeister, auf dem Rasenmäher, aber das Teil stand still. Auch sang er nicht wie üblich Highway to Hell.
Als ich die Eingangshalle betrat, war die Anmeldung nicht besetzt. Die graumelierte Dame mit der strengen Brille und dem sezierenden Blick war nirgends zu sehen. So ging ich den schnurstracks die Treppe hoch auf Armins Etage.
Es war fast unheimlich, im Treppenhaus und in den Korridoren begegnete ich niemandem. Die Anstalt wirkte wie ausgestorben.
Endlich bei Armins Zimmertür angekommen, klopfte ich an. Es hätte mich nicht erstaunt, wenn mir niemand geantwortet hätte, doch nach einer Weile erschien Armins verschlafenes Gesicht im Türspalt.

"Du schon wieder?", fragte er. "Hast du was vergessen?"

Verwirrt betrat ich das Zimmer.

"Du bist doch gerade eben weggegangen", sagte er.

"Das war vor drei Tagen. Hast du solange geschlafen?"

"Etwas stimmt nicht", bemerkte er. "Entweder mit dir, mit mir oder mit allem."

"Ja. Das ist mir auch aufgefallen. Putin singt nicht und der Empfang ist nicht besetzt."

"Vielleicht ist es ein Sonnensturm", mutmaßte er.

"Ein Sonnensturm? Davon habe ich nichts bemerkt. Außerdem wäre es sicher in den Nachrichten gekommen."

Armin  betätigte den Lichtschalter, obwohl es draußen noch hell war.

"Wir haben keinen Strom", konstatierte er. Dann trat er ans Fenster und blickte hinaus auf den Park.

"Putin fährt nicht mehr."

"Vielleicht ist er eingeschlafen? Machen Sonnenstürme schläfrig?"

Armin sah mich seltsam an:
"Hatte es auf der Fahrt zu mir eigentlich viel Verkehr?"

"Mhm...jetzt wo du es sagst: ich bin keinem einzigen Auto begegnet, ich hatte die ganze Zeit die Strasse für mich allein. Das heißt, nicht ganz, kurz vor der Anstalt musste ich einen Bauer mit einem uralten Traktor überholen."

"Du bist mit deinem alten hellblauen Opel Rekord gekommen, nicht wahr?"

"Ja, Bienchen hat den Auspuff wieder angemacht. Sie..."

"...das ist es! Typisch Sonnensturm: alle moderne Elektronik ist tot. Darum läuft dein Opel Rekord noch, der hat nur eine primitive Elektrik: Batterie, Lichtmaschine, Spule, Zündverteiler. Da kann nichts kaputt gehen. Genauso beim alten Traktor, den du überholt hast. In Putins Traktor hingegen hat es die Elektronik verschmort. Vielleicht hat es auch seinen Herzschrittmacher erwischt. Darum sitzt er noch immer auf dem Teil und bewegt sich nicht."

"...so schlimm ist das", fragte ich erschrocken. Da steht ja die halbe Welt still. Wir müssen sofort die Nachrichten einschalten und erfahren was los ist."

"Das nützt nichts. Es gibt keine Nachrichten mehr. Auch das Internet ist garantiert tot."

"Aber...was tun wir jetzt? Soll ich sofort nach Hause fahren und unterwegs noch das Nötigste einkaufen? "

"Nein, was du jetzt nicht hast, kriegst du nicht mehr. Die Läden sind dicht, die Kassen außer Betrieb und deine Plastikkarten wertlos. Am besten du bleibst hier in der Anstalt. Wenn die Welt dort draußen außer Rand und Band gerät, ist die Anstalt der sicherste Platz. "

"Aber du hast ja ein CB-Gerät und außerdem kannst du morsen. Sollten wir nicht einen Notruf absetzen und mit anderen Kontakt aufnehmen? Mit dem Katastrophenschutz, der Regierung, dem Militär? Wir könnten ja die Batterie aus meinem Rekord holen um dein Gerät zu betreiben."

"Wenn auf der Welt das Licht ausgeht, bleibt man am besten im Schutz der Dunkelheit. Außerdem werden wir jetzt etwas besorgen, das viel wichtiger ist, als die Batterie aus deinem alten Opel. Die Anstalt hat eine gut sortierte Vorratskammer."

Plötzlich spürte ich die raue Zunge meiner Katze im Gesicht. Ich blinzelte und blickte verwirrt auf die Uhr. Ganze zwei Stunden hatte ich geschlafen, dabei hatte ich mich nach dem Mittagessen nur für ein kurzes Nickerchen hingelegt. 



Dienstag, 23. Oktober 2018

Maxwell klingelt an der Tür


Bienchen war erstaunt über meine elektrischen Kenntnisse. Obwohl sie bei meinen Erklärungen das Gesicht verzog als hätte sie Zahnweh, konnte sie doch nichts grundlegend Falsches daran finden. Ich hatte ihr erklärt, wie man den Spannungsabfall berechnet, den der Strom "liegen lässt" und ich hatte ihr gezeigt, wie man die elektrische Leistung in Watt und die Arbeit in Wattstunden berechnet.
Wenn sie mich jetzt nicht für die Lizenzprüfung zum Funker ausbilden wollte, musste sie wirklich gute Gründe finden.

"Mhm...mhm", machte sie und legte ihren Kopf leicht schräg. "Auch wenn deine Erklärung reichlich komisch war, ist sie im Prinzip richtig. "Du scheinst mehr auf dem Kasten zu haben als ich dachte. Doch bevor ich in das gewagte Unterfangen einwillige, dir beim Lernen für die Prüfung zu helfen, muss ich sicher sein, dass die ganze Übung nicht für die Katz ist."

"Du zweifelst an mir und meinen Fähigkeiten?"

"Nicht an den Fähigkeiten, mein Lieber. Die HB3er Prüfung schafft auch ein Halbschlauer. Wie steht es mit deinem Durchstehvermögen? Wie kann ich sicher sein, dass du nicht auf halbem Weg den Bettel plötzlich hinwirfst? Wie steht es mit deiner Motivation?"

"Meine Motivation sind meine Träume. Ich arbeite ja schon für Guglielmo Marconi und hänge fast jede Nach seine Antennen in die Tannen des Vallée du Trient. Und neuerdings war ich sogar Hilfsfunker auf der Titanic."

"Träume sind Schäume. Im Licht des Tages zerplatzen sie wie Seifenblasen. Das reicht nicht."

"Was könnte dich denn wirklich überzeugen, Bienchen?"

Sie legte ihre Stirn in Runzeln. Plötzlich hellte sich ihr Gesicht auf und mit einem schelmischen Lächeln erklärte sie: "Nun, du hast mir die Sache mit dem Strom erklärt. Aber könntest du mir auch die Sache mit den elektromagnetischen Wellen erklären?"

Mir kam sofort mein Gespräch mit Armin über Antennen in den Sinn, vielleicht würde mir das helfen. Doch dann erinnerte ich mich an einen ganz besonderen Traum:
"In einem meiner Träume habe ich einmal Herrn Maxwell aus Schottland getroffen, und wir haben bei einem Bier in einem alten Pub über seine Arbeit diskutiert. Er hat mir vier Gleichungen auf einen Bierteller geschrieben. Würde es dir helfen, wenn ich sie dir erklären würde?"

Bienchen schaute mich an, als wäre ich ein Gespenst:
"James Clerk Maxwell, den Physiker? Du kennst seine Gleichungen? Das glaube ich nicht!"

"Doch, doch, ich habe sie im Traum gesehen, und ich glaube, dass ich sie verstanden habe."

Bienchen schlug die Hände vors Gesicht und gab einen eigenartigen Laut von sich. Ich wusste nicht, ob sie lachte oder weinte. Am besten war wohl, wenn ich tat, als würde ich es nicht bemerken:
"Seine erste Gleichung besagt, dass ein elektrische Ladung ein elektrisches Feld erzeugt, und die zweite, dass ein magnetischer Einpol nicht existiert und folge dessen auch kein magnetisches Feld erzeugen kann", erklärte ich.

Bienchen sah mich nur wortlos an, so fuhr ich weiter:

"Die dritte besagt, dass im freien Raum ein sich änderndes elektrisches Feld ein magnetisches Feld erzeugt und die vierte das umgekehrte davon."

Bienchen lächelte.
"Na ja, wir wollen jetzt nicht zu sehr ins Detail gehen. Aber immerhin scheinst du zu verstehen wieso elektromagnetische Wellen überhaupt entstehen und sich ausbreiten können. Allerdings bezweifle ich, dass du die Gleichungen wirklich verstanden hast."

"Du meinst das mit der Rotation und der Divergenz? Maxwell hat sie mir übrigens in differentieller Form gezeigt. Mit Integralen hab ich's nicht so."

"Huch die Waldfee", entfuhr es Bienchen.

"Ich habe das auch in der Praxis ausprobiert!"

"Mit deinem Präsident Jackson?" Bienchen grinste.

"Nein, ich habe einen Sender selbst gebaut, und zwar nicht im Traum sondern in der Realität."

"Mit Röhren oder Transistoren?"

"Weder noch. Mit einer Klingel - einer alten elektrischen Klingel. Die ist nämlich sehr einfach aufgebaut. Ein Elektromagnet zieht den Klöppel an, der an die Glocke schlägt. Dieser unterbricht den Stromfluss und der Klöppel fällt wieder zurück in seine Ruheposition. Im Unterbrecherkontakt entstehen dabei Funken. Hängt man eine Antenne dran, dann funkt es. Ich habe damit das Morsealphabet geübt."

"Verrückt!", sie schüttelte den Kopf. "Du hast damit sicher alle Radioapparate der Nachbarschaft gestört.

"Nein. Ich habe nur auf Kurzwelle gesendet, denn ich habe meinen Klingelsender über einen Schwingkreis abgestimmt. Wer hört denn heute noch Kurzwelle?"

Bienchen sah mich eine Weile abschätzend an, dann sagte sie:

"Gut. Du hast mich überredet. Morgen beginnen wir mit dem Unterricht."



Montag, 22. Oktober 2018

Der Dunning Kruger Effekt



Nachdem ich Sämu getroffen hatte, sprach ich noch am gleichen Tag mit Bienchen und fragte sie, ob sie mir nicht helfen würde, mich auf die Funkamateur-Prüfung vorzubereiten.

"Wieso gerade ich? Wieso fragst du nicht deinen Freund Armin?"

"Der sieht manchmal Dinge, die es nicht gibt, und wenn er mir dann Dinge beibringt, die nur in seiner Fantasie existieren, hilft mir das nicht - im Gegenteil! Zudem hat Sämu gesagt, du seist Deutsche und die hätten alle das Oberlehrer-Gen."
Gut, das war etwas übertrieben, Sämu hatte andere Worte gewählt.
"Ausserdem hättest du ihn ausgebildet, und er hat sogar bestanden."

"Das war nicht gerade einfach. Er hatte zu Beginn einen ziemlich starken Dunning-Kruger."

"Eine Krankheit? Ist das ansteckend?"

"Wahrscheinlich schon. Die Menschen mit Dunning-Kruger fühlen sich kompetenter als sie sind. Dummerweise ist es so: je weniger sie verstehen, desto mehr glauben sie zu verstehen."

"Oh, das wusste ich nicht. Aber einen Dunning-Kruger habe ich bestimmt nicht. Das ist gar nicht möglich, denn ich bin kein Spezialist."

"Aber vielleicht Generalist?", fragte sie und zeigte ein Haifischlächeln.

"Ja, ich denke schon..."

"...das sind die Schlimmsten! Sie glauben alles zu verstehen, ohne etwas wissen zu müssen. Aber sag mal: Hast du irgendwelche Vorkenntnisse? Zum beispiel in Elektrotechnik und wie gut bist du in Mathe?"

"Sämu sagt, man brauche nur auswendig zu lernen für den HB3er. Aber abgesehen davon: ich weiss was über Strom. Armin hat es mir erklärt."

"Mhm...kannst du mir denn sagen, was der Strom so macht?" Sie lächelte jetzt wie ein Haifisch vor dem Zuschnappen. "Und hast du schon mal vom ohmschen Gesetz gehört?"

"Das ist ganz einfach", begann ich. "Wenn der Strom aus dem Generator kommt, ist er ausgeruht und voller Spannung auf sein Tagwerk. Wie ein Arbeiter, der morgens frisch ausgeruht zur Fabrik geht. Dort verrichtet er dann seine Arbeit und kehrt am Abend müde nach Hause zurück. Er ist müde von der Arbeit und hat seine ganze Spannung in der Fabrik liegen lassen. Das nennt man Spannungsabfall. Der ist umso größer, je kräftiger der Stromarbeiter ist und je widerstandsvoller seine Arbeit ist. Darum rechnet sich der Spannungsabfall, den der Herr Strom in der Fabrik liegen lässt mit Stromstärke mal Widerstand..."

Bienchen sah mich verblüfft an und machte gerade den Mund auf, vermutlich um mir eine weitere Frage zu stellen. Doch ich fuhr unbeirrt weiter:

Die Arbeit, die der Herr Strom in der Fabrik leistet, rechnet sich aus seiner Kraft und aus dem Spannungsabfall, den er in der Fabrik liegen lässt. Beides miteinander multipliziert ergibt die Wattzahl..."

"...ein ungewöhnlicher Ansatz, in der Tat", meinte Bienchen.

"Warte, ich bin noch nicht fertig: Den Lohn, den Herr Strom für seine Arbeit bekommt, berechnet sich einerseits nach der Wattzahl und seiner Arbeitszeit. Die Multiplikation der Beiden ergibt Wattstunden."

"Wo hast du das her? Hat dir das Armin erzählt?"

"Nein, ich war mal Hilfsausläufer in einer Fabrik. Zudem habe ich ein Diplom gemacht", berichtete ich stolz.

"Ein Diplom, du hast ein Diplom. Na das ist aber eine Überraschung."

"Ja, ich habe die Migros-Klub-Schule besucht. Einen Abend in der Woche. Da gab es immer Kaffee und Kuchen."




Sonntag, 21. Oktober 2018

Zoff in Zofingen?



Heute Vormittag traf ich Sämu oben am Waldsaum. Er suchte nach Pilzen, sein Hund nach alten Knochen. Es war ein wunderschöner Tag, knapp über der Nebelgrenze und wir setzten uns für ein Gespräch auf die Bank unter den alten Eichen.

"Nächsten Samstag ist wieder Flohmarkt in Zofingen", meinte Sämu vergnügt. "Ich hab schon jede Menge Zeug parat."

"Ist das ein Trucker Flohmarkt und was findet man dort?"

"Das ist ein Funkerflohmarkt."

"Du machst auch Jedermannfunk? Ich habe dich bisher auf meinem Präsident Jackson noch nicht gehört."

"Du bist ja auch neu und hast dein Jackson erst gerade eingerichtet. Aber ich habe auch eine Amateurfunklizenz."

"Mich laust der Affe! Du bist jetzt schon der zweite Bekannte, der eine Lizenz zum Funken hat. Martin ist auch so einer. Er morst sogar noch. Wie hast du denn das gemacht? Ist das schon lange her und ist es schwierig eine Lizenz zu bekommen? Da musst du doch eine Prüfung ablegen, nicht wahr?"
Ich war wie elektrisiert, dachte ich doch an den Buchstabenschalter am Präsident Jackson und die vielen leeren Kanäle. Wie toll wäre es doch, auch eine Lizenz zu besitzen und auf diesen geheimnisvollen Kanälen funken zu dürfen. Auch wenn das Zehnmeterband einen Meter kürzer war als das Elfmeterband: so viel schlechter konnte es nicht sein.

"Ich habe den HB3er gemacht", berichtete Sämu voller Stolz. Da muss man viel auswendig lernen, aber ich habe es im ersten Anlauf geschafft. Bist du gut im Auswendiglernen?"

"Das kommt drauf an", wiegelte ich ab. "Aber etwas bleibt immer hängen. Was muss man denn alles lernen?"

"Eigentlich musst du dir nur die Fragen einprägen und die richtigen Antworten dazu."

"Keine Formeln oder so? In Mathe war ich nämlich immer schwach."

"Das ist nicht unbedingt nötig. Du musst nur den Fragenkatalog mit den Lösungen durcharbeiten. Auch wenn du einige Fehler machst, was am Ende zählt, ist das Resultat: bestanden oder nicht bestanden. Es gibt keine Noten."

"Könntest du mich nicht ausbilden, Sämu?"

"Äh...mhm...könnte ich schon. Aber Bienchen ist besser, sie hat mir geholfen und vielleicht hilft sie dir auch."

"Bienchen? Jetzt sag nicht, dass sie auch eine Lizenz hat, sonst beiß ich in die Tischkante."

"Hier hat es keinen Tisch. Aber ich weiss nicht, ob sie eine Lizenz hat, sie macht so viele seltsame Dinge und hat so viele Hobbies."

"Und du denkst, Bienchen könnte mich besser ausbilden als du? Wieso denn das?"

"Bienchen ist Deutsche. Die sind alles geborene Oberlehrer. Die schlaucht dich, dass dir Hören und Sehen vergehen."

"Bienchen ist eine Deutsche? Das habe ich bisher nicht gemerkt. Sie spricht doch normales Deutsch wie wir auch!"

"Sie ist auch schon lange da, und ich glaube, sie war mal mit einem Schweizer verheiratet. Aber es könnte auch ein Italiener gewesen sein, denn Italienisch spricht sie auch."

Typisch Sämu, dachte ich. Wie hatte der bloss die Funkerprüfung geschafft?

"Und am Samstag gehst du also nach Zofingen und kaufst dir ein Funkgerät?", wechselte ich das Thema.

"Nein. Ich bin Verkäufer und habe einen eigenen Stand."

Ich schaute ihn verblüfft an. Der alte Trucker verblüffte mich immer mehr.
"Was hast du denn so zum verkaufen? Etwa auch Funkgeräte?"

"Eine ganze Kiste voll. Teilweise noch mit Röhren. Unter anderem einen Kenwood TS-520. Ein bewährtes Gerät."

"Das wäre doch was für mich; ich meine: wenn ich die Prüfung schaffe."

Sämu schüttelte den Kopf und kratzte sich dann verlegen hinter dem Ohr. Dann nahm er seinem Hund den alten Knochen aus dem Maul und warf ihn in den Wald.
"Das ist nichts für dich. Weil...ähm...das Teil hat einen schlechten Kontakt."

"Ich könnte aber gleichwohl nach Zofingen kommen und mir ein Funkgerät ausgucken."

"Kauf dir lieber was neues. Ich habe in Zofingen noch selten ein Funkgerät gesehen, das keine Macke hat. Genau genommen: noch nie."

"Wieso das? Sind die Leute denn nicht ehrlich miteinander?"

"Es ist wie überall, jeder bescheisst ein wenig. Auf Ebay ist es doch ähnlich. Vielleicht erinnern sie sich nicht mehr an den Fehler, weil das Gerät schon lange im Keller stand. Die Funker sind ja oft nicht mehr die Jüngsten. Viele haben bereits das Demenzalter erreicht. Da vergisst man schon mal einen Wackelkontakt, wenn das Gehirn ins Wackeln kommt. Aber vielleicht bekommen die Geräte auch die Grippe, wenn sie zu lang im feuchten Keller stehen. Da kann niemand was dafür. Das ist sowas wie höhere Gewalt."

"Das ist eine seltsame Gesellschaft", sinnierte ich. "Das möchte ich gerne mal erleben. Darf ich mit dir kommen am Samstag?"

"Kein Problem. Ich bin froh auf etwas Gesellschaft. Aber zieh nicht die neusten Kleider an. Vieles von dem alten Schrott ist dreckig und einiges müffelt."

"Die Geräte oder die Funker?"

"Beides. Die Demenz schlägt manchmal auch auf die Hygiene. Letztes Jahr hatte ich drei Kunden, die hatten noch den Hosenschlitz offen. Und ein anderer fragte gar dreimal nach dem letzten Preis. Ein typisches Zeichen von schlechtem Kontakt im Hirnkasten."

In diesem Moment fiel mir auf, dass Sämu nicht gerade nach Lotusblüten duftete. Aber vielleicht lag das am Hund...oder an dem braunen Plastiksack mit Hundescheisse, den er noch immer in der linken Hand trug.






Samstag, 20. Oktober 2018

Putin und sein Roboter



Bei einem meiner letzten Besuche in der Anstalt lernte ich einen Mann kennen, den ich nicht zuordnen konnte: war er Patient oder gehörte er zum Personal?
Ich begegnete ihm im Treppenhaus und er fiel mir sofort durch seinen undefinierbaren Gesichtsausdruck und seine blaue Berufsschürze auf. Das Personal trägt nämlich ausnahmslos weiße Kittel und wird deshalb von einigen Patienten auch Weisskittel genannt. Andere nennen sie Pfleger oder Wärter, einige auch Arschlöcher.
Die Doktoren unter den Weisskitteln tragen ausnahmslos Abhörgeräte um den Hals, in ihren Kreisen Stethoskope genannt. Es ist eine Art Rangabzeichen. Patienten abzuhorchen ist nur den Doktoren gestattet.
Bei uns im Betrieb, wo ich als Aushilfe tätig war, gab es ein ähnliches Kastensystem. Ingenieure trugen weiße Schürzen und trugen Rechenschieber gut sichtbar als Rangabzeichen. Taschenrechner gab es damals noch nicht. Elektroniker trugen blaue Schürzen und hatten Krokodilklemmen an die Brusttasche geklemmt. So konnte man sie nicht mit den Mechanikern verwechseln, die einer untergeordneten Kaste angehörten. Diese hatten dafür meistens eine Schieblehre in der Hand. Eine Sonderstellung hatten die Betriebselektriker, sie trugen Phasenprüfer in der Brusttasche.
So war alle sauber geregelt und jeder wusste, wo er hingehörte.

Als ich mich bei Armin nach dem Mann im blauen Kittel erkundigte, wusste er sofort, um wen es sich handelte:

"Das ist Putin", sagte er zu meiner Verblüffung.

"Gehört er zum Geheimdienst der Anstalt?"

"Nein, der wird von der Sekretärin des Direktors geleitet. Die meisten nennen sie Miss Moneypenny, aber richtig heisst sie Hannelore Abderhalden. Der Mann in der blauen Berufsschürze ist der Abwart."

"Aha, also der Mann, der das Gebäude in Schuss hält. Diesen Eindruck hat er aber nicht gemacht. Er roch streng nach Alkohol."

"Ja, er fährt prinzipiell nur besoffen."

"Ist ihm die Polizei noch nie auf die Schliche gekommen?"

"Das ist denen wurscht, Putin fährt nur Rasenmäher-Traktor auf dem Gelände der Anstalt. Dazu singt er immer Highway to Hell."

"Darum hat es so komische Spuren. Was macht er denn, wenn er nicht Rasenmäher fährt?"

"Er fährt fast immer, gleich ob das Gras gewachsen ist oder nicht, und wenn er nicht fährt, dann lässt er fahren. In der Nacht surrt sein Rasenmäher-Roboter durch die Gegend. Das nervt."

"Macht der soviel Lärm?"

"Nein, er stört den Funk. Der blubbert über den ganzen Kurzwellenbereich."

"Kannst du da nichts machen. Du bist doch der Spezialist für solche Sachen."

"Putin hat rund um die Anstalt einen Draht gespannt. Das ist die Grenze für den Roboter. Leider wirkt diese Riesenschleife als Antenne."

"Was sendet die denn? Hat die einen bestimmten Kanal?"

"Eben nicht. Es ist ein russisches Model und sendet auf Langwelle ein Rechtecksignal. Das produziert jede Menge Oberwellen. Aber wir arbeiten an diesem Problem."

"Wir? Putin und du?"

"Nein, die Alte von nebenan. Wir haben uns zusammengetan. Sie schießt ab und zu auf den Roboter. Das nützt zwar nichts, gibt mir aber ein gutes Gefühl. Zudem schießt sie während dieser Zeit nicht auf meine Antenne."

"Und was ist dein Beitrag zu dieser Zusammenarbeit?"

"Wenn ich funken will und gestört werde, schleiche ich mich nachts raus und schneide den Draht entzwei. Der Roboter ist deswegen bereits dreimal ausgebüxt. Einmal in den Ententeich, einmal auf die Straße, wo er überfahren wurde und einmal in den Wald, wo sie ihn mitten in den Hallimasch gefunden haben."

"Schade für die Hallimasch. Und der Roboter hat all das überlebt?"

"Putin hat ihn immer wieder zusammengeflickt. Das ist russische Technik und funktioniert - glaub ich - noch mit Röhren. Ist so gut wie unzerstörbar und würde jeden Roboterkrieg gewinnen. Dem ist nicht einmal mit einer Knochensäge beizukommen."

 

Freitag, 19. Oktober 2018

Game of Thrones



Vor dem Unfall mit dem Philips Tonband hatten Armin und ich noch ein längeres Gespräch. Dabei ging es auch um seine Zukunft:

"Ich werde wohl für immer in der Anstalt bleiben müssen", eröffnete er mir.

Das war ein Schock für mich, denn bisher war ich immer davon ausgegangen, dass Armin bald wieder nach Hause zurückkehren würde.

"Aber du bist doch nur hier zur Kur. Die können dich doch nicht für immer in der Anstalt behalten!"

"Doch, das können sie. Meine Frau hat sich mit meinem Psychiater verbündet. Die beiden haben ein Verhältnis."

"Dagegen muss man doch was tun. Du solltest zur Polizei gehen, oder dir einen Anwalt nehmen, oder..."

"...Das würde meine Situation nur komplizieren. Denn erstens bin ich wirklich schizophren und zweitens geht es mir hier ganz gut."

"Aber du bist kein freier Mann!"

"Denkst du, da draußen ist jemand wirklich frei? Man hat mich ja nicht eingesperrt und das Personal ist nett und schaut gut zu mir..."

"...Du wirst überwacht und kontrolliert..."

"...Die Menschen da draußen auch", entgegnete Armin. Er deute zum Fenster seines Zimmers. "Auch du wirst kontrolliert und überwacht mein Freund. Und solange du einigermaßen in der Spur bleibst und deine Steuern zahlst, sind deine Kontrolleure nett zu dir. Ja, du merkst kaum, dass du kontrolliert wirst. Zumindest hierzulande."

"Aber was ist mit deinem Haus, deinem Vermögen, deinem Jaguar."

Armin gluckste vor Lachen. "Der fährt jetzt der Psychiater."

"Armin, das darf doch nicht wahr sein. Du musst doch etwas unternehmen und dich aus dieser Situation befreien! Du musst aufstehen, rebellieren!"

Schlagartig wurde Armin wieder ernst und schaute mich nachdenklich an:

"Zurzeit machst du jeden Blödsinn und erzählst deinem Arzt die verrücktesten Geschichten, damit er dich in die Anstalt schickt. Pass auf, das könnte mächtig in die Hosen gehen."

"Ich möchte doch nur meine lästigen Träume loswerden."

"Sei froh, dass du welche hast, und bleib unter dem Radar der Mächtigen."

"Die Mächtigen? Das kling verdammt nach Verschwörung!"

"Die ganze Welt dort draußen ist eine Verschwörung. Die Menschen sind verrückt geworden. Die einzigen normalen Leute befinden sich hier in der Anstalt."

"Du übertreibst krass, und du weißt das auch."

"Wenn ich verrückt sage, dann meine ich das im Sinne von verschoben. Die Wahrnehmung der Wirklichkeit ist gestört."

"Das ist eine Begleiterscheinung unserer Informationsgesellschaft."

"Ich lese ja kaum die Zeitungen unten im Gemeinschaftsraum und das Fernsehen langweilt mich. Trotzdem bekomme ich ein wenig mit, was dort draußen passiert." Armin deutete wieder zum Fenster.
"Gestern zum Beispiel wurde darüber berichtet, dass da ein paar Wüstensöhne in einem Konsulat einen der ihren mit einer Knochensäge zerteilt haben. Die Reporter waren ganz aus dem Häuschen. Dabei ist das nichts ungewöhnliches. Schon gar nicht in dieser Gegend. Dort werden reihenweise Köpfe abgeschlagen und an der Folter hat sich seit dem Mittelalter nichts geändert. Gut, die Zersäger haben sich dabei vielleicht nicht so geschickt angestellt, aber täglich sterben unzählige Menschen auf der Welt auf noch viel grausamere Art und Weise. Es finden fürchterliche Kriege statt, Kinder verhungern oder werden von pädophilen Pfaffen missbraucht. Und plötzlich wird um einen Zersägten so ein Buhei gemacht. Da stimmt doch was nicht?"

"Aber die hatten dabei Kopfhörer an und Musik gehört. Stell dir vor, Armin, so was Perverses: die haben beim Zerstückeln Musik gehört. Das geht doch gar nicht."

"Game of Thrones ist das, mein Lieber. Das ist die grosse Weltpolitik. Und jetzt haben die Menschen mal ein Zipfelchen von dem mitgekriegt, was wirklich hinter den Kulissen geschieht. Und alle sind entsetzt, dabei gruseln sie sich doch noch so gerne am Abend beim täglichen Mord vor der Glotze. Nur dass dort nicht eine altertümliche Knochensäge zum Einsatz kommt, sondern eine elektrische Kettensäge. Aber Musik gibt es dort auch."

"Ja, aber der Tatort oder dieses Game of Thrones sind nicht wirklich, das ist nur Schauspielerei."

"Du sagst es. Vor der Kulisse findet das Schauspiel statt. Da brauchst du nur die Köpfe der Politiker anzusehen und du weißt Bescheid. Weisst du übrigens, was ich herausgefunden habe, beim gelegentlichen Fernsehen?"

Ich schüttelte den Kopf.

"Die einzige Sendung im deutschen Fernsehen, wo unverblümt die Wahrheit berichtet wird, heißt Die Anstalt." Dann fügte er noch lächelnd hinzu:
"Und die Zeitung, die nahe an der Wirklichkeit berichtet ist Der Postillon."




Donnerstag, 18. Oktober 2018

Das Tonband mit dem magischen Auge



Als Armin und ich noch jung gewesen sind und ein bisschen verrückt und nicht so normal wie heute, da hatten wir beide ein Tonband. Beide waren von Philips und hatten ein magisches Auge. Das ist eine besondere Röhre, die zur Anzeige der Aussteuerung benutzt wurde. Überhaupt funktionierte das ganze Tonband mit Röhren.
Heute wissen viele nicht mehr was ein Tonband ist und eine Röhre ist für viele ein Ding wo man reingesteckt wird, wenn man sehr krank ist.

Wo mein Tonband abgeblieben ist, weiß ich nicht. Irgendwann verschwand es aus meinem Leben. Möglicherweise bei einem Umzug oder auf einem Flohmarkt. Mitsamt der Kartonkiste voll bespielter Bänder.

Darum war ich höchst erfreut, als mir Armin bei meinem gestrigen Besuch in der Anstalt sein altes Tonband in die Hände drückte und sagte:

"Hier habe ich keinen Platz für das alte Teil. Ich hab ja nur dieses eine Zimmer und so wie es ausschaut, wird es auch so bleiben. Es ist ein Philips RK10. Bei dir ist es besser aufgehoben. Nimm es mit!"

"Ich werde gut darauf aufpassen", entgegnete ich. "Und wenn eine Röhre kaputt geht, habe ich davon noch eine Kiste voll und finde sicher was Passendes."

"Du kannst aber nicht irgendwelche Röhren reinstecken, das weißt du doch?"

"Ich bin doch nicht blöd."

"Ja, ich weiß, du siehst nur so aus. Aber ich kannte mal einen Funker, der war tatsächlich so blöd und hat irgendwelche Röhren in seinen Empfänger gesteckt. Apropos: du hattest ja auch mal einen Röhrenempfänger. Einen Hallicrafters, wenn ich mich nicht irre. Was ist aus dem geworden?"

"Der hat vermutlich den gleichen Weg genommen wie mein Tonband", gab ich zu.

Wir hatten noch ein gutes Gespräch und es war schon spät und weit außerhalb der Besuchszeit, als ich mich verabschiedete. Leider war auf dem Parkplatz die Beleuchtung zum Teil ausgefallen und so nahm das Unheil seinen Lauf.
Ich verfehlte eine Treppenstufe und verlor die Kontrolle über das Tonband. Es schlug noch vor mir auf dem geteerten Platz auf. Das Geräusch war hässlich; das Gehäuse platzte auf und das Tonband verlor einige seiner Innereien auf dem Parkplatz. Federn und Rädchen quollen heraus und das magische Auge zersplitterte. Beide Spulen sprangen aus den Halterungen und das Band zerriss dabei. Eine der Spulen rollte quer über den Platz, bevor sie umkippte. Genau vor den Füssen einer dunkel gekleideten Gestalt, die dort im Dunkeln stand.
Das konnte ich aber nur durch einen dunkelroten Schleier beobachten, denn mein Kinn hatte kurz zuvor den Boden getroffen.
Trotzdem sah ich, wie die Gestalt sich bückte und nach der Spule griff. Dann kam sie auf mich zu.
Ich checkte kurz meine Knochen, tastete nach dem Kinn und versuchte mich zu erheben. Da stand die Gestalt im dunklen Mantel bereits vor mir.
Trotz dem schlechten Licht erkannte ich sie sofort an der Tätowierung: es war Charlie. Ihr grünes Auge starrte mich an, das rote funkelte im Licht der nächsten Straßenlampe.

"Hast Scheiß gebaut, Nemo", konstatierte sie. "Bist du verletzt?"

"Hallo Charlie, ich glaube nicht", sagte ich benommen und mit angebissener Zunge. In meinem Mund war ein metallischer Geschmack. "Aber das Tonband ist hinüber."

"Ein Absturz", konstatierte sie und reichte mir die Spule. "Der Propeller ist hinüber. Die Maschine wird nicht wieder starten."

"Das darf Armin nicht erfahren. Er hat es mir geschenkt. Das heißt: ich sollte auf das Tonband aufpassen."

"Ich schweige wie ein Grab. Aber was zur Hölle ist ein Tonband?"

"Ein grosses Kassettengerät, nur ohne Kassette. Die Spulen liegen frei und man muss das Kunststoffband einfädeln."

Charlie blickte mich mit ihrem gesunden Auge verständnislos an.

"Sowas wie ein MP3 Player, nur viel grösser", doppelte ich nach. "Ach vergiss es. Im Prinzip macht es fast das gleiche wie ein Smartphone, nur kann es nicht telefonieren."

"Macht nix", Charlie zuckte die Schultern. "Aber man kann sicher damit surfen, oder?"

"Nein, es hat keinen Bildschirm, nur ein magisches Auge."

Charlie zuckte zusammen und machte ein finsteres Gesicht. Auch der tätowierte Drache auf ihrem Hals schaute mich böse an.

"Tut mir leid", sagte ich. "Es hat übrigens auch keine Kamera und keinen Terminkalender."

"Was kann es überhaupt?"

"Musik aufnehmen und abspielen. Oder auch Sprache, doch dazu muss man ein Mikrofon anschließen.

"Das ist wenig für eine so grosse Maschine. Ist sie von Apple oder Microsoft."

"Weder noch, die gab es damals noch nicht. Dafür arbeitet sie mit Röhren."

"Cool, dann ist es eine echte Steampunk-Maschine."


Mittwoch, 17. Oktober 2018

Die leeren Kanäle



Vergangene Nacht habe ich wieder mit dem Präsident Jackson in den Aether gelauscht. Dabei ist mir etwas aufgefallen. Der Präsident hat viele leere Kanäle auf denen nichts zu hören ist. Aber vielleicht haben es Präsidenten so an sich, dass sie nur auf einigen wenigen Kanälen kommunizieren. Trump, zum Beispiel, kommuniziert ja auch nur auf einem Twitter-Kanal.  Oder diese scheinbar leeren Kanäle sind geheim: so geheim, dass dort nichts nach außen dringt.

Der Präsident hat ja einen Schalter mit Buchstaben von A bis E. Neuere Präsidenten hätten sogar einen Buchstabenschalter bis F, habe ich mir sagen lassen. Diese Buchstaben erschließen dem geneigten Funker viele weitere Kanäle, beziehungsweise Kanalgruppen. Das steht zumindest in der Bedienungsanleitung.
Aber eben: man hört dort fast nichts. Bis auf einen einzigen Kanal waren alle leer. Was für eine Verschwendung.
Auf dem Kanal, der benutzt wurde, haben übrigens zwei komische Käuze miteinander gesprochen. Einer beendete seine Sätze immer mit H.I, was mich sofort an Samü den Trucker denken ließ, und der andere mit "Breik". Das allein war ja schon verwunderlich, aber der mit dem H.I. am Schluss begann seine Sendungen immer mit einem Rotscher. Vielleicht ein Fan von Rotscher Federer, wer weiß.
Sie sprachen auch über Antennen, aber seit ich von Armin weiß, dass die Antenne das komplizierteste Wesen neben dem Mensch ist, scheint mir das nur natürlich.

Ich habe mich nach einer Weile mal gemeldet, um mich nach dem Mysterium der leeren Kanäle zu erkunden. Und tatsächlich: einer der beiden sagte nach kurzer Pause:

"Du, Schorsch, da ist noch einer drauf. Hörst du den auch?"

Darauf meldete sich der andere mit einem Rufnamen mit vielen Wörtern und einer Zahl drin, die ich in der Aufregung sofort wieder vergaß. Das ist leider eine Eigenart meines Hirns: wenn ich aufgeregt bin, habe ich einen Blackout. Darum habe ich bisher nie eine Prüfung bestanden. Auch nicht die Fahrprüfung. Glücklicherweise hat damals mein Onkel den Experten beim vierten Versuch überreden können.

"Ja Karl,", sagte der andere, "aber er ist leider zu schwach. Ich kann ihn nicht aufnehmen.

Drösel, dachte ich, du musst mich nicht aufnehmen, nur verstehen, und wiederholte den Rufnamen, den ich mir ausgedacht hatte: Mike Golf Yankee, das Rufzeichen der Titanic.

"Mike Golf Yankee", sagte mir der erste, "wie lautet dein vollständiges Call?"

"Mike Golf Yankee", wiederholte ich, "so wie die Titanic."

"In dem Fall hast du dich verirrt, mein Junge. Das hier ist nicht das Elfmeter- sondern das Zehnmeterband."

"Nichts für ungut", sagte ich, "bin gleich weg."

Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann mich zum letzten Mal einer "mein Junge" genannt hatte. Gerne hätte ich den Karl noch gefragt, wieso denn die Kanäle im Zehnmeterband so leer waren, aber ich würde Armin bei nächster Gelegenheit darauf ansprechen. 



 

Dienstag, 16. Oktober 2018

Die Fake Antenne des Joseph Fuchs



Da mein Opel immer noch ohne Auspuff ist, konnte ich Armin in der Anstalt nicht besuchen. Aber wir haben miteinander telefoniert:

"Hallo Armin, ich habe gestern von dir Dinge erfahren, die du mir verheimlicht hast."

"Vielleicht sind es einfach auch nur Dinge, über die wir nicht gesprochen haben. Hast du ein Beispiel?"

"Dass du morsen kannst! Das hast du mir nie gesagt, und ich dachte, wir wären Freunde! Das befremdet mich."

"Manchmal werden Freunde zu Fremden und dafür Fremde zu Freunden. Das ist normal."

"Du hast mir auch nie gesagt, dass du eine Funklizenz hast."

"Das hätte an unserem Verbindungsproblem auch nichts geändert. Du brauchst für dein Präsident Jefferson eine bessere Antenne. Nur so kommst du in die Anstalt."

"Es ist ein Jackson und kein Jefferson. Ich habe betreffend Antenne ein bisschen gegoogelt. Die Spezis schwören auf sogenannte Fuchs-Antennen. Du weißt sicher wie die funktionieren."

"Nun ja, ich weiss zumindest, wie sich das Joseph Fuchs vorgestellt hat. Er hat seine Fuchs-Antenne nämlich im Jahr 1928 patentieren lassen. In Österreich."

"So alt ist diese Antenne schon? Und sie funktioniert noch immer?"

"Nein, immer noch nicht; auf jeden Fall nicht so, wie sich Joseph Fuchs das vorgestellt hat. Das Österreichische Patentamt hätte ihm nie ein Patent erteilen dürfen."

"Und wieso haben sie es denn gleichwohl getan?"

"Weil die damals in Österreich keine Ahnung hatten. Der Antenne fehlt schlicht und einfach ein Gegengewicht."

"Heisst das, sie ist kein Dipol?"

"Genau. Das steht sogar so in der Patentschrift. Dort steht: Sendeanordnung für drahtlose Telegraphie, dadurch gekennzeichnet.....dass sie einpolig direkt angeschlossen ist."

"Das hätte denen doch auffallen müssen. Kannten die den Dipol noch nicht?"

"Doch. Aber sie wussten nicht, wie eine Antenne funktioniert."

"Und wie funktioniert sie?"

"Damit eine Antenne strahlt, muss Strom fließen. Und Strom fließt nur irgendwo hinein, wenn er auch wieder herausfließen kann. Du brauchst also einen Zulauf und einen Ablauf. Davon kann aber keine Rede sein, wenn du nur einen Pol hast. Deine Autobatterie hat ja auch zwei Pole. Bei einem fließt der Strom raus, beim anderen wieder hinein."

"Die Fuchs-Antenne funktioniert deiner Meinung nach also nicht. Es ist also so eine Art Fake-Antenne?"

"So würde ich das nicht sagen", entgegnete Armin. "Die Fuchs-Antenne funktioniert schon. Aber nicht so, wie sich das Joseph Fuchs und Generationen von Funkern vorgestellt haben. Und sicher nicht, wie in der Patentschrift beschrieben. Dort steht nämlich: "Die Antenne wird rein durch Spannung angestoßen."

"Wie funktioniert sie dann?"

"Wie viele andere Antennen auch: Sie sucht sich selbst ein Gegengewicht, und dort fließt dann auch der Strom zurück.

"Das ist aber eine mysteriöse Geschichte. Vielleicht schickt mich mein Psychiater bald zu dir in die Anstalt, dann können wir den ganzen Tag über solche Dinge sprechen."

"Gott bewahre, wir können in der Anstalt keine Irren gebrauchen."

"Wie geht es eigentlich Charlie, die ich bei dir getroffen habe? Als ich raus auf den Parkplatz kam, hat die Polizei nach ihr gesucht."

"Ach, die Pilotin. Der geht es ganz gut. Die Anstaltsleitung meint, sie sei abgehauen, aber in Wirklichkeit wohnt sie immer noch hier. Inkognito, verstehst du?"

"Ist sie denn gefährlich, dass die Polizei nach ihr sucht? Und wieso hat sie eigentlich unterschiedliche Augenfarben: Rot und Grün?"

"Sie ist gefährlich für sich selbst, seit sie nicht mehr fliegen kann. Aber da ist sie selbst schuld. Was für eine verrückte Idee, sich ein Auge tätowieren zu lassen."












Montag, 15. Oktober 2018

Eine kuriose Sprache



Gestern war ich bei Bienchen. Sie wohnt alleine in einem großen, alten Haus auf der anderen Seite des Walds in dem ich spazieren gehe. Wie alt Bienchen wirklich ist, weiß ich nicht. Aber ich schätze sie so auf 55. Was ich aber weiß: sie hat eine Garage mit einer Grube. Dort kann man unter das Auto steigen.

Bienchen war nicht allein. Sämu war bei ihr. Sein Hund kaute an einer kaputten Drohne.

"Ich wollte dich nur fragen, ob du mir den Auspuff beim Opel anschweißen kannst", kam ich ohne Einleitung zur Sache.

"Hast du ihn dabei?"

"Nein, der Auspuff liegt noch im Gebüsch, wo ich ihn zwischengelagert habe."

"Macht nix. Wir finden schon was Passendes. Wie geht's Präsident Jackson?"

"Ich habe mit Armin noch keine Verbindung hingekriegt. Er meint, es liege an der Antenne oder an der Distanz."

"Es liegt an den Ausbreitungsbedingungen", mischte sich Sämu ein. "Ihr müsst einen Skip erwischen."

"Quatsch", entgegnete Bienchen, "Für elf Meter liegt die Anstalt in der toten Zone. Du brauchst einen Brenner."

"Oder eine bessere Spargel", sagte Sämu. Sein Hund hatte gerade die Drohnenbatterie zwischen den Zähnen.

"Eure Sprache ist mir ein Rätsel."

"Das ist CB Slang", sagte Sämu. "So spricht man im Elfmeterband."

"Armin habe ich noch nie so sprechen hören."

"Kein Wunder", warf Bienchen ein. "Der wohnt ja in der Anstalt. Außerdem hat er eine Amateurfunklizenz."

Ich war baff. Das hatte ich nicht gewusst. "Armin ist ein richtiger Funkamateur?"

"Ja, einer von der alten Sorte", erklärte Bienchen. "Er morst noch."

"Die Funkamateure haben auch ihre eigene Sprache", mischte sich Sämu ein. Die Drohnenbatterie machte ein komisches Geräusch und fiel dem Hund aus dem Maul. Der sog den Schwanz ein und trollte sich.
"Ab und an höre ich ihnen im 2m Band zu. Da ist zum Beispiel einer, der sagt nach jedem Satz "H.I."

Ich hörte Sämus Stimme plötzlich nur noch wie aus weiter Ferne. In meinen Gedanken war ich wieder in der Funkstation auf der Titanic, und die Uhr stand beinahe auf zwanzig vor Zwölf; ich hatte das Gefühl hoher Dringlichkeit. Doch bevor ich vollständig in meinen Tagtraum wegdriftete, holte mich Bienchens Stimme wieder zurück in die Realität:

"Obwohl du Armins Freund bist, scheinst du wenig über ihn zu wissen."

Die Titanic verschwand wieder und ich stand immer noch vor Bienchens Garage.

"Ich kann auch morsen", sagte ich.

"Wo hast du denn das gelernt?", fragte sie.

"Sicher nicht in der Schule", grinste Sämu.

Ich warf ihm einen bösen Blick zu und wollte gerade antworten, da kam ein Mann um die Ecke, im schicken Anzug, die Haare geliert.
"Wo ist die Drohne meines Sohnes? Er sagte mir, sie sei über Ihrem Garten abgestürzt."

Bienchen deutete auf die zerkauten Überreste der Drohne und die rauchende Batterie.
Der Mann war entsetzt.
"Was haben sie mit der Drohne gemacht? Wissen Sie, wie viel das Teil gekostet hat?"

Bienchen zuckte die Schultern:
"Sie hat wohl einen elektromagnetischen Schock gekriegt. Ihr Sohn sollte sie beim nächsten Mal in Alufolie einpacken."

Ich verdrückte mich auf Französisch. Es war kein guter Tag zum Auspuff schweißen.










Sonntag, 14. Oktober 2018

Der Untergang der Titanic



Gestern war ich wieder beim Psychiater. Denn seit ich dieses Blog hier schreibe, ist etwas mit meinen Träumen passiert. Nicht, dass ich im Traum weniger arbeiten müsste: ich bin immer noch im Labor und der Fabrik beschäftigt und hänge nach wie vor Antennen für Guglielmo Marconi in die Tannen des Vallée du Trient. Das allein wäre kein Grund für einen neuerlichen Besuch bei meinem Psychiater, nicht nach so kurzer Zeit, aber ich habe zu all dem jetzt noch einen zusätzlichen Job gefasst, obwohl ich in meinen Träumen schon am Limit bin: Neuerdings bin ich auch noch Hilfsfunker auf einem Hochseeschiff. Und das schlimme daran ist: ich weiss nicht, ob es sich bei diesem Schiff vielleicht um die Titanic handelt.
Der Kahn ist alt und die Menschen an Bord wirken wie aus der Zeit gefallen. Aber ich kann den Schiffsnamen nicht entziffern, weder auf den Rettungsbooten noch anderswo. Gelingt es doch nur wenigen Menschen im Traum zu lesen.

"Die Tests, die wir beim letzten Mal gemacht haben, sind leider nicht so gut ausgefallen", hörte ich den Psychiater sagen. Doch seine Stimme drang wie durch Watte zu mir und meine Gedanken waren draußen bei den Nebelkrähen vor dem Fenster.

"Aber das ist noch kein Grund zur Sorge", fuhr er fort. "Das bekommen wir sicher auch in den Griff. Wir schaffen das", lächelte er, und als ich zu ihm sah, hatte er mit seinen Händen eine Raute gebildet.

"Fortschreitende Altersdemenz", murmelte ich. "Ich merke es an meinen Träumen."

"Nein, nein, es ist etwas anderes. Aber wir müssen eine eingehende neuronale Untersuchung machen."

"Soll ich wieder eine Uhr zeichnen? Es ist immer noch zwanzig vor zwölf, das wird sich nicht ändern. Ich kann dir einen ganzes Blatt voller Uhren zeichnen, nein, ein ganzes Buch voll, wenn du willst."

"Hör auf, du spinnst..."
"...das ist mal eine ehrliche Diagnose. Allerdings nicht eine, die der Patient direkt hören sollte."

"Es tut mir leid...ich wollte sagen, du bildest dir etwas ein, was nicht existiert. Demenz ist etwas anderes, du bist nicht vergesslich. Dein Gedächtnis funktioniert noch ausgezeichnet."

"Nein, es geht um viel mehr", regte ich mich auf. "Es geht um Leben und Tod. Wir haben vielleicht einen Eisberg voraus und in ein paar Minuten kann es schon zu spät sein. Es ist beinahe zwanzig vor Mitternacht. Ich muss unbedingt zu Captain Smith und ihn warnen..."

Das Zimmer des Psychiaters hatte sich unterdessen in eine Funkstation verwandelt. Ein Mann saß an einem Tisch und gab mit der Morsetaste eine Meldung durch. Der Sender machte einen Heidenlärm.

"Halt rief ich", und stieß den Funker vom Stuhl. Dann griff ich zur Morsetaste. "Wir müssen die Californian erreichen, bevor wir mit dem Eisberg zusammengestoßen, sie ist in der Nähe."

Der andere Funker riss mir die Taste wieder aus der Hand und sagte:
"Lass meinen Rezeptblock in Ruhe. Du kannst dir nicht selbst Rezepte ausstellen." Es war mein Psychiater. Der Raum wurde wieder zu seinem Konsultations-Zimmer und die Funkstation verschwand.

"Wusstest du, dass die Titanic nicht SOS sendete, wie heute oft gesagt wird, sondern CQD, was soviel heisst wie..."

"...das interessiert mich jetzt nicht. Mit dir stimmt tatsächlich was nicht. Entweder bist du ein schlechter Schauspieler oder wir müssen tatsächlich über einen Aufenthalt in der Anstalt nachdenken."

"Das sage ich doch die ganze Zeit. Ich muss in die Anstalt zu Armin: nur dort können meine Träume kuriert werden."









Samstag, 13. Oktober 2018

Antennen aus der Anstalt


Gestern passierten drei Dinge, die in meinem Lebensweg neue Wahrscheinlichkeiten erzeugten. Ich bekam meinen Fahrausweis endlich wieder, der Opel verlor seinen Auspuff und Armin erklärte mir, wie eine Antenne funktioniert.

Glücklicherweise suchte die Polizei nicht mehr nach Charlie, als ich oben bei der Anstalt ankam, sonst hätte der fehlende Auspufftopf bestimmt Probleme gemacht. Mein Opel ist schon alt und gebrechlich. Als der Wagen an seinen Erstbesitzer verkauft wurde, musste dieser einen rechten Außenspiegel und ein Autoradio extra bestellen, so alt ist das Teil. Außerdem hat er inzwischen mindestens schon die dritte neue Wasserpumpe.

Den abgefallenen Auspuff habe ich natürlich in einem Strauch am Straßenrand versteckt und nicht etwa in den Kofferraum getan. So kann ich bei einer Kontrolle immer noch auf ahnungslos machen.

Armin behauptete zwar immer noch, die Alte von nebenan habe seine Antenne entzwei geschossen, aber ich ging nicht darauf ein. Mir wurde wieder einmal bewusst, wieso Armin eigentlich hier war: er bildete sich Dinge ein, die nicht wirklich existierten. Etwas was mir nie passieren könnte.

"Armin, wenn ich nach Antennen google, weiss ich nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Das ist alles so technisch verwirrend. Und wenn ich den CB-Funkern mit dem Präsident Jackson zuhöre, weiß ich nicht, was ich glauben soll. Es geht immer um irgendwelche Bruchteile von der Wellenlänge. Von ganzen Antennen habe ich noch nichts gehört. Der eine sagt fünf Achtel sei das Optimum, ein anderer meint, ein Viertel müsse eine Antenne sein, ein weiterer schwört auf drei Achtel. Wer hat recht? Wie muss eine Antenne sein und wie funktioniert sie eigentlich?

"Das ist eine Frage, die nicht so einfach zu beantworten ist. Die Antenne ist eines der komplizierten Wesen nebst dem Menschen. Darum gibt es unzählige Ansichten, mehr oder weniger gescheite Artikel und Bücher und sogar Menschen, die ihr Geld damit verdienen, den ganzen Tag hinter einem Computer zu sitzen und Antennen zu berechnen."

"Das scheint ja hoffnungslos zu sein, für einen Laien wie mich."

"Die Hoffnung stirbt zuletzt. Du wirst sehen, du überlebst es."

"Du weisst, im Rechnen war ich schwach."

"Es gibt keine schwachen Schüler, nur schwache Lehrer. Aber kommen wir zur Antenne: Was du wissen musst, das wusste schon der Guglielmo Marconi, von dem du immer träumst: Eine Antenne ist immer ein Dipol. Also ein Ding mit zwei Polen. Genauso wie eine Batterie, wie ein Magnet und überhaupt wie jedes wichtige Ding in unserer Welt. Sogar die Politik hat zwei..."

"...Rot und grün?"

"Nein, du Drössel, links und rechts natürlich. Oft treffen sich die beiden an ihren extremen Enden und das entspricht in der Antennentechnik dann einer Schleifenantenne und bei der Batterie einem Kurzschluss. Aber wir wollen jetzt nicht vom Thema abkommen. Der Dipol ist also die Grundform der Antenne. Jeder der beiden Pole ist im Idealfall ein Viertel der Wellenlänge lang. Die Enden sind heiss, deshalb musst du dort einen Isolator verwenden, wie in deinem Traum."

"Mit heiß meinst du wohl Hochspannung, nicht wahr?"

"Genau so ist es. Es ist wie bei den Frauen, die haben auch zwei Pole und wenn du die unvermittelt anfasst, bekommst du eine geschmiert.
Jeder Draht einer solchen Dipolantenne sollte übrigens möglichst in entgegengesetzte Richtung laufen. Der eine nach links, der andere nach rechts. Man kann einen Dipol zwar etwas abwinkeln, aber wenn man das zu weit treibt, wird er schlecht."

"Aha. Und wieso verwendest du hier nur einen einzigen Draht vom Fenster zum Birnbaum und keinen Dipol."

"Das wäre einfach zu auffällig und die Alte von nebenan würde noch öfter auf meine Antenne schiessen. Trotzdem hat meine Antenne zwei Pole wie jede Antenne. Es ist nur nicht so offensichtlich. Hinter dem Büchergestell habe ich nämlich einen Draht als Gegengewicht angehängt."

"Gegengewicht? Wenn man also keinen Dipol hat, braucht man ein Gegengewicht?"

"Gegengewicht ist nur ein anderer Name für den zweiten Pol. Genauso wie das Wort Radiale oder Radials auf Englisch. Man könnte auch Gegenpol sagen."

"Und wenn mein Dipol nicht zwei Viertelwellen, also insgesamt einer halben Wellenlänge entspricht, was passiert dann? Wieso sprechen andere von drei Achteln oder fünf Achteln."

"Im Prinzip kannst du jede beliebige Länge verwenden. Beim Dipol mit je einem Viertel kannst du in der Regel das Kabel ohne weiteres anschliessen. Wenn aber die Längen der Pole nicht stimmen, brauchst du eine Anpassung."

"Anpassung?"

"Das ist eine Schaltung mit Spulen und Kondensatoren."

"Das ist mir zu kompliziert. Du meinst also, ich sollte einen Dipol bauen, damit es zwischen uns funkt?"

"Das allein ist noch keine Garantie. Immerhin liegen zwei Hügel zwischen uns und ziemlich viel Wald. Aber versuch mal, den Dipol so hoch wie möglich aufzuhängen und im rechten Winkel zur Anstalt hier oben."

Auf der Rückfahrt musste ich die ganze Zeit an diesen rechten Winkel denken. Ob Armin das wirklich ernst gemeint hat? Und ob es auch linke Winkel gab? Aber dazu hätte ich in der Schule besser aufpassen müssen.




Freitag, 12. Oktober 2018

Armin schiesst den Vogel ab



Die Funkverbindung mit Armin kam bisher nicht zustande. Vielleicht ist die Anstalt einfach zu weit weg, oder meine Antenne nicht gut genug. So bin ich denn gestern Abend in die Anstalt gefahren, um das Problem unter vier Augen zu besprechen.

Die Besuchszeit war vorbei und ich musste mich am Schalter beim Eingang vorbeischleichen. Als ich leise an seine Tür klopfte, antwortete mir niemand. Ich vergewisserte mich, dass ich im Korridor allein war und drückte die Klinke. Die Tür war offen.
"Eigentlich logisch", dachte ich. "Die Insassen sollten sich nicht selbst einschließen können. Dafür sind die Wärter zuständig."
Armin war nicht da. Ich fragte mich, wo er sich wohl herumtreiben mochte. Die Anstalt war gross und verwinkelt; eine Suche wäre zwecklos. Mir blieb nichts anderes übrig: ich musste in seinem Zimmer auf ihn warten.

Endlich öffnete sich die Tür. Doch es war nicht Armin. Eine junge Frau, tätowiert wie ein Zombie, starrte mich an. Ein Auge war grün, das andere rot, wie bei einer Ampel.

"Wo kommst denn du her, und wo ist Armin?", fragte sie.

"Ich bin nur zu Besuch und warte auf ihn."

"Bist spät, die Besuchszeit ist vorüber. Wenn dich die Wärter erwischen, sperren sie dich ein." Sie lachte wie ein gackerndes Huhn. "Ich bin übrigens Charlie, wenn's dich interessiert. Und wie heisst du?"

"Nemo", entgegnete ich, denn ich wollte inkognito bleiben. Schließlich war das hier eine Kapsmühle und da musste man vorsichtig sein.

In diesem Augenblick wurde die Tür aufgerissen und Armin stürzte herein. Sein Blick schwenkte mehrere Male zwischen uns Eindringlingen hin und her, dann stieß er zu Charlie gewandt hervor:
"Hast du sie wieder festgemacht?"

"Na klar, du bist wieder online. Ich habe den Lack abgemacht und beide Enden verdrillt."

Armin ging zum Büchergestell und fummelte an seinem Funkgerät herum. "Bingo", sagte er. "Das SWR stimmt noch."

"Was ist denn passiert?", fragte ich. "War die Antenne kaputt?"

"Ja, die Alte von nebenan hat sie abgeschossen. Du weisst schon, die alte Schachtel, die rauscht wie ein Wasserfall."

"Abgeschossen? Du meinst, sie hat deinen dünnen Draht entzwei geschossen?"

"Ja mit ihrem Luftgewehr. Sie schiesst damit auch immer auf die Enten drüben am Teich."

"Ein Luftgewehr in der Anstalt? Das gibt es doch nicht. Das ist ja megagefährlich!"

"Das Leben draussen ist noch viel gefährlicher. Das solltest du eigentlich wissen!"

"Es war ein Vogel", mischte sich Charlie in die Diskussion ein. "Und drüben im Teich hat es keine Enten."

"Eben", entgegnete Armin. "Sie hat alle abgeschossen."

"Es war ein Vogel", insistierte Charlie, "mindestens ein Pelikan."

"Ich komme morgen wieder", sagte ich. "Wenn diese Sache geklärt ist."

Als ich mich wieder rausschlich standen zwei Polizisten bei meinem Opel. Mir wurde schlecht, als ich die beiden sah.

"Haben Sie etwa eine stark tätowierte Frau gesehen", fragte mich der eine.

Dann wünschten sie mir einen schönen Abend und ich fuhr vorsichtig und mit weichen Knien nach Hause.



Donnerstag, 11. Oktober 2018

Bienchen baut eine EMP-Kanone



Gestern schaute ich kurz bei Bienchen vorbei. Sie war daran, auf ihrer Terrasse eine Art Kunstwerk zu errichten. Es sah aus wie Science Fiction. Eine riesige Spule, fast so groß wie ich selbst und auch so dick wie ich nach drei Tellern Spaghetti. Darauf hatte sie eine jener glänzenden Kugel gestellt, die man im Gartencenter zur Dekoration kaufen kann. Diese sehen aus, als wären sie aus Metall, aber innen müssen sie ihrem Gewicht nach hohl sein.

"Hallo Bienchen, das sieht ja cool aus, was du da gebaut hast. Was soll es denn darstellen?"

Sie legte ihren Kopf etwas schräg, als sie mich ansah, und schien zu überlegen, was sie mir sagen sollte.

"Es ist ein Experiment", sagte sie nach einigem Zögern.

"Eine Maschine? Was wirst du damit tun?"

"Es ist...naja...es ist eine Kanone."

"Du willst mit dieser Metallkugel schießen? Hoffentlich geht das nicht schief. Hast du denn eine Genehmigung dazu?"

Um Genehmigungen hatte ich mich zwar selbst nie groß gekümmert. Aber irgendetwas musste ich ja dazu sagen. Bienchen hatte nicht alle Tassen im Schrank - ich glaube, das hatte ich bereits hier im Blog erwähnt. Und die fehlenden Tassen konnten manchmal ziemlich "komplizierte" Auswirkungen haben.

"Die Kugel bleibt wo sie ist, keine Sorge. Das, was du hier siehst, ist eine EMP-Kanone, früher auch Tesla-Transformator genannt."

"Ich wusste gar nicht, dass Tesla nicht nur Autos sondern auch Kanonen baut."

"Das hat absolut nichts mit dem Tesla-Auto zu tun. Das macht ja der Elon Musk, Nikola Tesla selbst ist schon lange Geschichte, genauso wie dein Guglielmo Marconi, von dem du immer träumst. Und diesen Tesla-Transformator habe ich selbst gebaut. Sowas kann man nicht kaufen - zumindest nicht in dieser Größenordnung. Das wäre wohl zu gefährlich für das gewöhnliche Publikum."

"Ui, dann habe ich mich also nicht getäuscht und dieses Teil ist echt gefährlich. EMP bedeutet doch Elektromagnetischer Puls, nicht wahr? Auf wen oder was willst du denn damit schiessen?"

"Auf diese verdammte Drohne, die in meinem Garten rumspioniert und die Vögel verscheucht. Sie kommt von dort drüben!" Bienchen zeigte auf das übernächste Haus, einen hässlichen Betonklotz, etwa 100m entfernt. Vielleicht auch 50m, im Schätzen war ich nie besonders gut.

"Hast du schon mit dem Besitzer gesprochen? Die meisten Probleme lassen sich auf dem diplomatischen Weg lösen. Da brauchts es doch keine Kanonen."

"Wenn du Zeitung lesen würdest, wüsstest du, dass das nicht stimmt. Es ist ein rotzfrecher Bengel, und sein Vater lässt ihn machen, was er will. Da ist jedes Wort für die Katz. Ich habs versucht und mit seinem Vater gesprochen, doch ich hätte das geradeso gut mit einem Ölgötzen tun können. Er hat nur gelacht und als er dachte, ich würde nicht hinsehen, machte er die Schraube - du weisst schon. Der Junge fährt sogar mit dem Auto ins Dorf, dabei ist er erst fünfzehn und hat bestimmt keinen Führerschein."

Ich zuckte die Schultern. "Das finde ich jetzt nicht so schlimm. Ich habe zurzeit auch keinen und fahre trotzdem zu Armin in die Anstalt."

"Was hast du denn mit dem Führerschein gemacht?"

"Gar nichts, die Polizei verwahrt ihn zurzeit für mich. Aber ich habe ja eine Kopie davon auf dem Handy."

"Wohl zu schnell gefahren", brummelte Bienchen und schüttelte den Kopf. Dann reckte sie ihren Zeigefinger nochmal in Richtung Nachbarhaus und erklärte: "Wenn die Drohne nochmals erscheint, dann rummst es."

"Wenn das nur gut geht. Mit einem Elektromagnetischen Puls ist nicht zu spaßen. Du könntest die gesamte Elektronik in der Nachbarschaft lahm legen. Das wäre wie eine kleine Apokalypse. Ich habe mal darüber gelesen. Das gleiche passiert, wenn eine Atombombe explodiert."

Bienchen schen nach diesen Worten tatsächlich ins Grübeln zu kommen. Sie drehte eine Runde nach der anderen um den Tesla-Transformator und murmelte dazu unverständliche Worte. Plötzlich hielt sie inne und fixierte die glänzende Kugel auf der Spule.

"Vielleicht versuch ich es erstmal mit leichterem Geschütz", meinte sie. "Wenn ich bei meinem Mikrowellenofen die Sperren überbrücke und die Tür abmontiere, ist das schon eine anständige elektromagnetische Kanone. Das Teil bringt 800 Watt und wenn ich mit der offenen Seite auf die Drohne ziele, macht die bestimmt den Schirm zu."

"Ist das nicht gefährlich? Bei mir ist schon mal ein Käseauflauf explodiert. Das gab eine Riesenschweinerei. Wenn die Drohne explodiert, könnten die Trümmer überall einschlagen."

"Sie wird nicht explodieren. Aber der Funkempfänger in der Drohne wird wahrscheinlich durch das extrem starke Signal der Mikrowelle zugepflastert und gibt den Geist auf. Absturz. Aus die Maus. Ist ja im gleichen Frequenzband."

Eigentlich hatte ich sie noch etwas über den Präsident Jackson fragen wollen, aber ihre momentane Laune versprach keine verwertbaren Antworten. Außerdem war es besser, wenn ich nach Hause ging und dem Präsidenten den Stecker zog. Ein EMP würde ihm sicher auch nicht gut tun.




Mittwoch, 10. Oktober 2018

Sämu der Trucker



Sämu kenne ich schon lange. Er geht jeden Tag mit seinem Hund spazieren und manchmal treffen wir uns oben auf der Bank am Waldrand. Oft meide ich ein Zusammentreffen, denn Sämu erzählt immer die gleichen Geschichten. Inzwischen kenne ich sie alle auswendig. Und das will was heißen, denn im Auswendiglernen war ich besonders schwach. Mein Hirn hat nämlich einen speziellen Defekt: Ich vergesse innert kürzester Zeit alles, was mich nicht interessiert.

Doch gestern wollte ich unbedingt mit Sämu ins Gespräch kommen. Ich habe eine ganze geschlagene Stunde auf der Bank gewartet, bis er endlich angeschnauft kam.

"Sämu, du warst doch in einem früheren Leben Trucker. Da hattest du in deinem Laster sicher auch ein CB-Radio, nicht wahr?"

Sämu schaute mich verblüfft an und als ich daran zu zweifeln begann, ob er mir jemals antworten würde, begannen seine Augen plötzlich zu leuchten wie zwei alte Sparlampen.

"Ja, das hatte ich. Aber es ist schon lange her. In meinem vorvorletzten Leben war ich tatsächlich Brummifahrer. Und ich hatte sogar zwei Antennen, eine links und eine rechts."

"Zwei Antennen. Das ist sicher besser als eine einzige. Welche Bruchteile hatten die denn? Waren das ein, zwei oder drei Achtel? Oder gar andere Brüche?"

"Das weiss ich nicht mehr. Aber zwei Antennen waren definitiv besser als eine einzige. Zumal die Antennen ziemlich kurz waren. So ein LKW hat ja schon eine beachtliche Höhe und da darf die Antenne nicht weit über das Dach hinausragen, sonst sind sie bei der nächsten Brücke oder spätestens bei der nächsten Polizeikontrolle weg."

"Logisch. Auf meinen alten Opel würden aber grössere passen, der ist nicht so hoch. Da könnte ich sogar vier davon montieren, das wäre sicher noch besser. Vierfache Antenne, vierfache Reichweite."

"Ob das so funktioniert, weiss ich nicht. Auf jeden Fall würdest du den Cops auffallen. Heute hat ja kaum noch jemand CB-Funk im Auto. Auch die Trucker kaum mehr. Diese Zeiten sind vorbei."

"Gut, vier Antennen sind natürlich übertrieben, aber zwei, eine links und eine rechts auf dem Kofferraumdeckel, würden schon geil aussehen."

"Affengeil", grinst Sämu. "Und wenn du das richtige Kabel dazu hast, um die beiden zu verbinden, wärst du echt im Vorteil."

"Wieso denn das?"

"Dann hättest du Richtwirkung, wie wir sie in den Trucks hatten. Dein Signal würde in Fahrtrichtung weiter reichen als mit einer einzigen Antenne."

"Du meinst, ich könnte vorausfahrende Fahrzeuge erreichen, die ich mit einer einzigen Antenne nicht könnte."

"So etwa, zumindest in der Theorie. Auch rückwärts würde dein Signal weiterreichen. Dafür hättest du Einbußen quer zur Straße. Aber wer will schon quer funken. Was dich auf der Straße interessiert ist doch, was vor und hinter dir liegt."

"Fast wie im Leben. Was hinter dir liegt, hat dich zu dem gemacht, was du bist, und was vor dir liegt, ist das Ziel, das du erreichen möchtest."

"So ist es. Und mein Ziel ist es jetzt, die Hühner zu füttern, damit die ihr Tagesziel erreichen und ihre Eier legen."

Als Sämu gegangen war, blieb ich sitzen und schaute ihm nach, bis er verschwunden war. Was war eigentlich mein Ziel?



Dienstag, 9. Oktober 2018

Aethergeflüster



Ich habe es geschafft, mein Präsident Jackson funktioniert. Google sei Dank. Ich denke, Google weiss mehr als Bienchen. Allerdings muss man aufpassen wegen der Fake News. Davor wird ja gewarnt. Vor allem in den Zeitungen, und die müssen es ja wissen.

Es ist spannend und verwirrend zugleich, den Gesprächen zu lauschen, die aus dem kleinen Lautsprecher des Präsidenten dringen. Noch habe ich mit niemandem gesprochen, zuerst will ich mit Zuhören lernen. Das mag vielleicht seltsam scheinen, denn in der Schule habe ich nie zugehört. Ich sass in der hintersten Reihe am Fenster, träumte und schaute den Vögeln und den Wolken zu. Das war interessanter als die Geschichte von Leuten, die schon längst tot sind und anderes nutzloses Zeug. Lesen und Schreiben habe ich trotzdem gelernt. Vor allem Lesen. Ich habe alle Bücher von Karl May gelesen und Perry Rhodan von Band 1 weg.
Ja, so ein Fensterplatz hat viele Vorteile. Man sieht Dinge, die den anderen entgehen. Nicht zuletzt den Lehrern, denn die gucken nur auf die Wandtafel und die Schüler.
Ich habe in meinem Leben immer geschaut, dass ich einen Fensterplatz kriege. Im Auto habe ich den sowieso, aber auch im Zug und im Flugzeug sass ich meistens am Fenster.

Doch zurück zu meinem Präsident Jackson. Eigentlich heisst es nicht Präsident, sondern President, denn der Jedermannfunk kommt aus Amerika. Dort heißt er übrigens CB radio: Citizen band radio. Das Jackson ist ja schon ein altes Gerät, den dieser Präsident ist vermutlich schon längst tot. Doch um das genau zu wissen, hätte ich in Geschichte besser aufpassen müssen. Wenn ich mal Geld übrig habe, werde ich mir vielleicht mal das neuste Gerät kaufen. Es wird sicher President Trump heissen.
Aber von Politik verstehe ich nichts. Ich weiss nicht einmal, ob ich links oder rechts bin. Darum macht es mir auch nichts aus, mit einem alten Präsidenten-Gerät zu funken.

Vergangene Nacht ist mir vor allem ein Funker aufgefallen. Er nannte sich Charlie Tango und er ist offenbar ein richtiger Crack. Es gab nichts, über das er nicht Bescheid gewusst hätte.

"Meine Antenne ist eine Dreiachtel", sagte ein anderen Funker zu ihm, der sich als Delta Oskar ausgab.
"Du meinst sicher Dreiviertel", entgegnete Charlie Tango.
"Nein, es ist eine echte Dreiachtel, die braucht nämlich keine Radiale."

Ich staunte und bedauerte zugleich, dass ich in der Schule im Bruchrechnen nicht aufgepasst hatte. Aber auch in Geometrie war ich schwach und wo die Radiale genau im Kreis saßen, wusste ich nicht mehr. Ob wir damals mit dem Zirkel Radiale konstruiert hatten?

"Radiale braucht es immer", meinte Charlie Tango.
"Was weisst du schon von Antennen, ich habe schließlich die Amateurfunkprüfung gemacht", entgegnete Delta Oskar, und man hörte deutlich den Stolz in seiner Stimme, als er hinzufügte: "Ich bin staatlich geprüfter Funkamateur."

Ich traute meinen Ohren nicht. Ein staatlicher Funker! Eine Art Guglielmo Marconi. Das war sensationnel. Wir hatten im Traum zwar nie darüber gesprochen, aber ich denke, dass auch Marconi ein staatlich geprüfter Funker war. Doch Charly Tango ließ sich davon nicht beeindrucken:
"Wenn du Funkamateur bist, wieso machst du dann CB?", fragte er. Dann stritten sie sich weiter über Bruchteile von Antennen.