Mittwoch, 7. November 2018
Dämpfung im Kopf
Gestern war ich nicht gut in Strumpf und ging deshalb zu meinem Psychiater.
"Schon wieder?" Er schüttelte missbilligend den Kopf. "Dabei warst du doch erst kürzlich bei mir. Geht es wieder um die Träume, die dich plagen?"
"Meine Traumarbeit in der Fabrik konnte ich glücklicherweise aufgeben. Die haben nämlich herausgefunden, dass sie meine Pensionierung vergessen hatten. Aber die anderen Träume sind noch da. Ich bin immer noch in diesem sinnlosen Labor, gehe in eine Schule, ohne lesen zu können und hänge für Marconi Antennen in die Tannen des Vallée de Trient. Aber jetzt ist etwas Neues hinzu gekommen."
"Ein neuer Traum?"
"Nein. Ich habe eine Dämpfung im Kopf."
"Hast du geraucht?"
"Nein, ich rauche und trinke nicht. Abgesehen von etwas Tastenöl, wie Armin sagt. Es ist eine Dämpfung in meinem Kopf, die vorher nicht da war."
"Wann hast du das zum ersten Mal gemerkt?"
"Nachdem mir Bienchen das Dezibel erklärt hat. Kurz darauf hat es begonnen."
"Das hängt vielleicht mit deiner Rechenschwäche zusammen. Sobald du scharf nachdenken musst, wird deine Hirntätigkeit gedämpft. Wenn es dir gelingt, diese Barriere zu beseitigen, dürfte dein Problem gelöst sein. Was hat dir denn Bienchen genau gesagt?"
"Wir haben über die so genannte Freiraum-Dämpfung gesprochen..."
"...also die Dämpfung der elektromagnetischen Wellen im freien Raum?"
"Genau. Aber wieso weisst du das? Du bist doch Seelenklempner von Beruf!"
"Auch Seelen spuken im Aether rum. Aber ich war vorher Elektroniker."
"Bienchen hat sich dabei aufgeregt. Zuerst habe ich ein paar Dezibel verloren, und dann habe ich eine Frage gestellt, bei der sie sich die Haare gerauft hat. Dabei habe ich nur gefragt, ob es nicht günstiger wäre, mit dem Präsident Jackson von einem Berg aus zu funken, weil man dort der Ionosphäre näher sei und so weniger Wellen in der Luft verpuffen würden."
"Aha, und was hat sie darauf gesagt?"
"Das wird mir zu bunt. Verlassen wir den Berg und den Luftraum und begeben uns in der Weltraum. Stell dir vor, du wärst mit dem Präsidenten in einem Raumschiff. Wie weit würde dann dein Signal reichen?"
"Unendlich weit", habe ich natürlich geantwortet und sie verzog dabei das Gesicht, als hätte sie in eine Zitrone gebissen. Aber sie musste mir recht geben. "Aber..., hat sie hinzugefügt, ...die Wellen verdünnen sich, je weiter sie sich vom Raumschiff entfernen. Daher braucht es mit steigender Entfernung immer größere Antennen um sie aufzufangen. Das nennt man Freiraumdämpfung."
"Daran sehe ich nichts Falsches", meinte der Psychiater. "Und wegen dem Quatsch kommst du zu mir. Das ist doch verrückt!"
"Sag ich ja. Deswegen solltest du mich schon längst in die Anstalt schicken. Bienchen auch gleich, denn sie hat dann noch gesagt: Die Freiraumdämpfung ist eigentlich keine richtige Dämpfung."
"Das ist korrekt, das habe ich bereits als Elektroniker so gelernt", meinte der Psychiater. "Das Vakuum des Alls frisst die Wellen nicht, diese verdünnisieren sich von selbst. Eine richtige Dämpfung würde die Wellen teilweise vernichten, beziehungsweise in Wärme umwandeln."
Ich war baff. Ob ich Bienchen gegen den Psychiater tauschen sollte. Seine Erklärungen schienen mir einleuchtender als die der alten Schrulle.
"Hat sie dir auch erklärt, wie man diese Freiraumdämpfung berechnet?"
"Ja. Glücklicherweise ohne Formeln. Ich könnte sie sogar im Kopf ausrechnen, wenn ich diese Dämpfung nicht im Gehirn hätte, darum komme ich ja zu dir. So brauche ich halt immer ein Stück Papier. Denn Papier ersetzt Hirn - ist bei den Zeitungen auch so. Immerhin habe ich nicht vergessen wie es geht."
"Und, wie geht es?"
"Die erste Wellenlänge kostet 22 dB und für jede Verzehnfachung der Distanz kommen 20dB hinzu. Nehmen wir mal, das Raumschiff sendet im 2m Band. Dann haben wir in 2m Entfernung 22 dB, in 20m kommen nochmals 20 dB hinzu, in 200m nochmals 20 dB und in 2km wieder 20dB. In 20km Entfernung kommen dann nochmals 20 dB hinzu. Gib mir doch rasch deinen Rezeptblock, damit ich das zusammenzählen kann..."
"...Spinnst du, der ist für die Pillen und nicht für Dezibel. Aber ich habs für dich bereits im Kopf addiert. Insgesamt sind es 102dB. Aber man verzehnfacht die Distanz ja nicht immer. Wie ist es, wenn man sie nur verdoppelt?"
"Dann kommen nur 6dB hinzu", sagte ich wie aus der Pistole geschossen. "Bei 40km Entfernung kämen also noch 6dB hinzu und die Dämpfung würde 108 dB betragen."
"Geht doch! Siehst du! Ich denke, du bist von der Dämpfung geheilt."
"Ja aber! Wenn der Raum die Wellen nicht absorbiert und sie sich nur verdünnen, wieso spielt da die Wellenlänge eine Rolle? Wieso wird sich nach dieser Rechnerei umso grösser, je kleiner die Wellenlänge ist?"
"Nur scheinbar, mein gedämpfter Freund, nur scheinbar. Wenn die Wirkfläche der Antenne bei der kleineren Wellenlänge gleich gross ist wie bei der grossen, wird dieser Effekt kompensiert. Das nennt man dann Antennengewinn. Doch das zu erklären überlass ich lieber Bienchen."
"Einverstanden, aber könntest du mir jetzt bitte noch eine Packung Xanax verschreiben?"
Der Psychiater seufzte und griff zu seinem Rezeptblock.
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Mein Name ist Anton und dies ist das letzte einer Reihe von Blogs, die ich in den vergangenen Jahrzehnten geschrieben habe. Irgendwann kam beim Schreiben immer der Moment, wo ich das Gefühl bekam, es sei Zeit, zu neuen Horizonten aufzubrechen und etwas Neues anzufangen. Das war auch diesmal der Fall – im März 2023.
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