Donnerstag, 8. November 2018

Charlie und der Pharaonenkäfig



"Sag mir deinen Namen und ich sage dir wie du heißt." Ihr rot tatöwiertes Auge glühte und das unbeschädigte grüne flackerte wie eine defekte Ampel.
Ich war Charlie geradewegs in die Arme gelaufen, dabei wollte ich eigentlich zu Armin mit meinem kaputten Präsidenten. Er hatte falschen Strom erwischt und machte keinen Mucks mehr. Nun stand ich ihr auf dem Parkplatz gegenüber und ich spürte, dass ich sie nicht so leicht loswerden würde.

"Pass auf, dass es diesem Teil nicht so geht wie dem Tonband!" Ihr Zeigefinger stach in Richtung Präsident Jackson.

Nur ungern erinnerte ich mich an die nächtliche Szene draußen vor der Anstalt, als sich die Eingeweide des Philips RK10 über den halben Parkplatz zerstreuten.
"Es ist schon kaputt", gestand ich zähneknirschend. "Ich bringe es Armin, vielleicht kann er es flicken."

"Kaputt?" Ihre Stimme raspelte wie mein ersatzteilsüchtiger Rasierapparat. "Da hast du Glück im Unglück. Ich bin Spezialistin für kaputte Sachen. Was hat es denn?"

"Es hat falschen Strom gezogen. Anschließend hat es geraucht wie ein Stumpendreher und nun ist es stumm. Ich hätte nie gedacht, dass so viel Rauch in dem Präsidenten steckt."

"Das Teil ist Präsident? Es sieht eher aus wie ein Funkgerät. So eins hatte ich auch im Cockpit."
Charlie war Pilotin, doch seit sie sich ein Auge hatte tätowieren lassen, durfte sie nicht mehr fliegen. Seitdem machte sie die Anstalt unsicher. Das heißt: eigentlich war sie Patientin. Aber sie stromerte den ganzen Tag herum und die Weißkittel waren dauernd auf der Suche nach ihr. Sogar die Polizei hatte sich bei mir nach ihr erkundigt, als ich gerade nach Hause fahren wollte.

"Es ist ein CB-Gerät. Aber es kann nicht nur Elfmeter sondern auch Zehnmeter", sagte ich stolz."

"Mein Funkgerät im Flieger ist auch kaputt, es kann gar nichts mehr. Eine Krähe ist in die Antenne geflogen und hat sie abgerissen. Ohne geht es halt nicht. In die Twin Otter kommt kein Funksignal rein. Sie ist wie ein Pharaonenkäfig. Woher kam eigentlich der falsche Strom in dein Funkgerät?"

"Ich habe Plus und Minus verwechselt."

"Tzz, dabei ist es so einfach: Rot ist blau und Plus ist Minus." Die groß gewachsene Frau kicherte wie ein Teenie.

"Es war ein Unfall. Aber sag mal: was ist ein Pharaonenkäfig?"

"Komm, wir setzen uns dort drüben auf die Bank, dort können wir weiter schwatzen, ohne dass uns Putin oder Miss Moneypenny sehen können."

Für meine Leser: Putin ist der Abwart der Anstalt und immer besoffen auf seinem Rasenmäher unterwegs, Miss Moneypenny ist die Sekretärin der Anstaltsleitung.
Charlie war mir schon etwas unheimlich. Trotzdem setzte ich mich mit ihr auf die Bank hinter dem Lorbeer Hag.

"Ein Pharaonenkäfig ist eine Kiste aus Metall. In ihrem Inneren herrscht Funkstille. Du weisst sicher, dass Strom strahlt. In der Stadt ist es besonders schlimm, da strahlt die Straßenbahn und die ganze Reklame. Sogar das blaue Bähnli strahlt. Aber in der Pharaonenkiste bist du sicher. Nicht einmal ein Blitz kann eindringen."

"Ach so! Du meinst einen Faraday Käfig."

"Sag ich doch. Pharaonenkäfig!" Ihre Ampelaugen flackerten.

"Den hat übrigens Michael Faraday erfunden. Ein genialer englischer Wissenschaftler. Erstaunlicherweise habe ich von ihm noch nie geträumt. Dabei wäre es spannend, ihm bei seinen Experimenten zu assistieren oder seine Weihnachtsvorlesungen zu hören..."

"...Du träumst von alten weißen Männern? Sowas von pervers, tzz..."

Aus welcher Ecke kam die denn? Aber ich liess mich nicht beirren:

"Michael Faraday war ein unglaublicher Mensch. Er hat zum Beispiel entdeckt, dass man Strom erzeugen kann, wenn man einen Leiter durch ein Magnetfeld bewegt. Er hat die Grundlagen für den Elektromotor und den Dynamo geschaffen. Sein ganzes Leben war angefüllt mit Experimenten..."

"...das ganze Leben ist ein Experiment."

"Und dabei kam er ohne eine einzige Formel aus. Er hat auch die Chemie mit der Elektrizität verknüpft und unter anderem die Elektrolyse entdeckt. Maxwell hat über ihn gesagt: "dort wo andere nur Kraftzentren sehen, ist für Faraday der ganze Raum von Kraftlinien durchdrungen." 
Er war ein Genie der viktorianischen Zeit."

Charlies unterschiedliche Augen begannen zu leuchten:
"Viktorianische Zeit! Nun verstehe ich deine Faszination. Faraday war ein echter Steampunk." 


 

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