Freitag, 9. November 2018

Präsident Jackson und das Universum



Nach der Diskussion mit Charlie draussen auf der Bank vor der Anstalt, besuchte ich Armin. Der kaputte Präsident Jackson kam mit. Ich wollte ihn nicht Charlie überlassen, obwohl sie auf ihn scharf war. Ich traute der Reparaturkunst der Ampelfrau nicht. Vielleicht hätte sie den Präsidenten total zerlegt, ohne ihn je wieder zusammensetzen zu können.

Armin hatte schlechte Laune und sie wurde noch schlechter als ich ihm davon berichtete, wie viel Rauch der Präsident verloren hatte, als er falschen Strom bekommen hatte.

"Der Mensch ist doch das dümmste Tier auf dieser Welt", fluchte er vor sich hin, und ich fühlte mich ziemlich betroffen.

"Der Mensch ist doch kein Tier", sagte ich betupft.

"Schlimmer noch", entgegnete er, "er ist das einzige Tier, das sich für einen Menschen hält."

Ich habe noch nie von einem Affen gehört, der einen Nobelpreis bekommen hat, hätte ich ihm am liebsten gesagt. Aber ich wusste, dass diese Diskussion dann zu einer Endlosschleife werden würde. "Aber ich von Affen die Auto fahren", hätte er sicher geantwortet. Also versuchte ich, ihn abzulenken und wechselte das Thema:

"Hast du schon von Oumuamua gehört, diesem länglichen Asteroiden, der von einem fernen Stern in unser Sonnensystem gekommen ist? Es könnte ein Raumschiff oder ein Artefakt einer anderen Zivilisation sein. Als es an der Sonne vorbeiflog, hat es von sich aus beschleunigt und jetzt wird spekuliert, ob es sich bei Oumuamua nicht um ein Sonnensegel handeln könnte. Vielleicht haben die Aliens in einem anderen Sonnensystem so ein Segel verloren oder sie haben es mit einer Sonde extra auf die Reise geschickt um uns auszuspähen."

Armin winkte ab.
"Die Aliens sind doch schon lange hier. Das ist doch die einzig plausible Erklärung für das Fermi-Paradoxon. Wir stehen unter Beobachtung."



"Da hätten wir aber schon längst Funksignale einer anderen Zivilisation aufgefangen. Denk nur an die großen Radioteleskope wie zum Beispiel das in Arecibo. Wenn die bisher nichts gehört haben, sind sie so weit weg, dass ihre Funksignale noch nicht bis zu uns vorgedrungen sind. Sie können daher sicher nicht vor unserer Haustür stehen und uns wie in einem Zoo beobachten. Wir würden sonst ihren Funk hören können."

Armin schaute mich an, als wäre ich ein Alienmonster.
"Glaubst du wirklich, die lungern da draussen irgendwo rum und quatschen mit Handfunken untereinander? Nein, eine andere Zivilisation, die uns beobachtet, dürfte so weit fortgeschritten sein, dass uns ihre Technologie wie Magie vorkommt. Wer die Raumzeit beherrscht, braucht keinen Funk mehr, wie wir ihn haben."

"Das ist schade, dann gibt es auch keinen galaktischen Amateurfunk, nicht einmal ein galaktisches  CB? Und wenn sich unsere Technik weiter entwickelt, wird der Funk bei uns auch verschwinden?"

"Da kannst du darauf wetten. Abgesehen davon, würde ein galaktischer Amateurfunk keinen Sinn ergeben. Bis zum nächsten Stern braucht dein Funksignal bereits viereinhalb Jahre und bis dein Signal das Zentrum der Milchstraße erreicht, dauert es 26'500 Jahre."

"Immerhin. Das bedeutet doch, dass meine Funksignale, die ich aussende, mich bei weitem überleben werden. Andromeda soll ja zweieinhalb Millionen Lichtjahre von uns entfernt sein, und bis zum Rand des Universums ist es noch viel weiter. In meinen Funksignalen werde ich daher praktisch unsterblich sein."

"Du müsstest dich schon ziemlich anstrengen, wenn man deine Signale auf dem Mars empfangen wollte. Denke an die Freiraum-Dämpfung, an die Verdünnung deiner Signale. Wenn es in vierzehn Milliarden Jahren ein einzelnes Photon von deiner Antenne bis an den Rand des sichtbaren Universums schaffen sollte, wird es sehr sehr einsam sein. Da hätte auch eine Antenne von den Ausmaßen einer Galaxy keine Chance."

Ich sah Armin zweifelnd an:
"Ich wusste gar nicht, dass Antennen auch Photonen aussenden. Wir haben bisher immer von Wellen gesprochen. Wenn die Antenne Photonen sendet, wieso spielt dann die Wellenlänge eine Rolle. Bisher dachte ich, dass Photonen Lichtteilchen sind. Ich verstehe die Welt nicht mehr."

"Alle elektromagnetische Strahlung, von den Langwellen bis zu den Röntgenstrahlen, besteht aus Photonen. Um es den Funkern einfacher und den Physikern schwieriger zu machen, haben diese Photonen aber auch Wellencharakter."

"Heisst das, die Photonen schwingen mit einer bestimmten Frequenz?"

"So kann man das sehen. Je höher ihre Frequenz, desto höher ist übrigens  ihre Energie. Darum solltest du dich nicht allzu oft röntgen lassen und dich nie von Gammastrahlen beschiessen lassen. Aber ich bin kein Physiklehrer. Bienchen kann dir da mehr darüber erzählen. Zudem kannst du sicher auch googeln. Das kann ja heute jedes Kind und wird bald die Lehrer ersetzen."

"Gott sei Dank", murmelte ich. Denn ich hatte eine tiefgründige Lehrerallergie. Aber noch waren nicht alle Klarheiten beseitigt:

"Ich habe gelesen, dass sich die am weitesten entfernten Galaxien in 14 Milliarden Lichtjahren Entfernung befinden. Soweit sollte doch mindestens ein Photon aus meiner Antenne kommen."

"Wenn es vorher nicht in ein schwarzes Loch oder in eine Sonne gestürzt ist oder von einer Gaswolke aufgefressen wurde. Aber du erliegst einem gewaltigen Irrtum."

"Das Leben ist eine Aneinanderreihung von Irrtümern."

"Genau. Deshalb sind wir beide auf dieser Welt. Aber deine 14 Milliarden Lichtjahre sind nichts anderes als das Alter des Universums, das man berechnet hat. Das Licht von diesen weit entfernten Galaxien hat nämlich wesentlich länger gebraucht als 14 Millionen Jahre, bis es bei uns ankam. Denn es wurde auf seinem Weg zur Erde ausgebremst. es musste gewissermaßen gegen die Strömung schwimmen."

"Das musste ich auch schon."

"Aber nicht auf diese Art. Das Universum expandiert nämlich immer noch. Das heisst, es wird dauernd grösser. Dummerweise expandiert es umso schneller, je weiter weg es von uns ist. Es ist wie ein gewaltiger Luftballon, der aufgeblasen wird."

"Bis er platzt?"

"Das könnte durchaus passieren. Einige Wissenschaftler meinen, dass es an einem bestimmten Punkt der Expansion die Struktur des Universums zerreißen könnte."

"Gruselig, dieses Universum. Wie lange sind denn die Photonen unterwegs gewesen, die aus diesen Galaxien stammen, die fast das Alter des Universums besitzen?"

"Zirka 40 Milliarden Jahre."

"Dann ist das Universum also 80 Milliarden Lichtjahre gross. Logisch nicht wahr?"

"Nein. Denn jenseits dieses sichtbaren Bereichs dehnt sich das Universum schneller aus, als das Licht. Die Photonen aus noch weiter entfernten Galaxien werden uns deshalb nie erreichen. Man nennt diese Grenze übrigens Hubble-Radius. Er ist noch etwas größer, nämlich etwa 45 Milliarden Lichtjahre. Es dauerte ja nach dem Urknall noch eine Weile, bis die ersten Sterne und Galaxien entstanden. Diese Hubbel-Sphäre ist also eine Kugel von etwa 90 Milliarden Durchmesser. Das ist das was wir beobachten können. Alles was jenseits dieser Grenze ist, entzieht sich unserer Beobachtung. Deshalb kann niemand sagen, wie gross das Universum wirklich ist."

"Aber wie kann sich das Universum schneller ausdehnen als mit Lichtgeschwindigkeit. Was sagt da Einstein dazu?"

"Nichts mehr, der ist schon längst tot. Aber er hat es auch schon gewusst. Denn die Grenze der Lichtgeschwindigkeit gilt nicht für die Ausdehnung der Raumzeit."

Mir wurde schlecht. Das war zuviel für meinen beschränkten Verstand.
"Wir sollten jetzt den Präsidenten öffnen und schauen, ob noch Rauch drin ist und ob wir ihn nicht reparieren können, schlug ich vor."

"Einen habe ich noch für deinen angeschlagenen Verstand", grinste Armin. "Als die Galaxien am Rande des beobachtbaren Universums ihr Licht aussandten, waren sie  viel näher als heute, da die Photonen auf ihrer Reise durch die Ausdehnung des Raums verzögert wurden. Nur etwa 40 Millionen Lichtjahre entfernt. Man kann heute noch Photonen einfangen, die gerade mal einige Hunderttausend Jahre nach dem Urknall ausgesandt wurden."

"Ich wäre dafür, dass das Universum aufhört, sich auszudehnen", sagte ich. "Sonst werden wir eines Tages am Nachthimmel keine anderen Galaxien mehr betrachten können."

"Ja, Astronomen in einer weit entfernten Zukunft werden vielleicht das Universum nicht mehr begreifen, da dann der Himmel dunkel ist. Und die Photonen aus deiner Antenne werden dann schon längst die scheinbare Lichtgeschwindigkeit dank der Raumexpansion überschritten haben."

War das der wirkliche Grund, wieso Armin in der Anstalt wohnte? Hatte ihn das Universum verrückt gemacht?"

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen