Freitag, 26. Oktober 2018

Der Sonnensturm



Gestern war ich wieder in der Anstalt. Nicht weil mich mein Psychiater dort einquartiert hat, sondern um Armin zu besuchen.
Schon als ich den Opel parkte - Bienchen hat den Auspuff inzwischen wieder angeschweißt - fiel mir auf, dass etwas nicht stimmte. Allerdings vermochte ich nicht zu sagen, was es war. Es war so ein eigenartig flaues Gefühl im Magen und ein Kribbeln im Nacken.
Zwar sass Putin, der Hausmeister, auf dem Rasenmäher, aber das Teil stand still. Auch sang er nicht wie üblich Highway to Hell.
Als ich die Eingangshalle betrat, war die Anmeldung nicht besetzt. Die graumelierte Dame mit der strengen Brille und dem sezierenden Blick war nirgends zu sehen. So ging ich den schnurstracks die Treppe hoch auf Armins Etage.
Es war fast unheimlich, im Treppenhaus und in den Korridoren begegnete ich niemandem. Die Anstalt wirkte wie ausgestorben.
Endlich bei Armins Zimmertür angekommen, klopfte ich an. Es hätte mich nicht erstaunt, wenn mir niemand geantwortet hätte, doch nach einer Weile erschien Armins verschlafenes Gesicht im Türspalt.

"Du schon wieder?", fragte er. "Hast du was vergessen?"

Verwirrt betrat ich das Zimmer.

"Du bist doch gerade eben weggegangen", sagte er.

"Das war vor drei Tagen. Hast du solange geschlafen?"

"Etwas stimmt nicht", bemerkte er. "Entweder mit dir, mit mir oder mit allem."

"Ja. Das ist mir auch aufgefallen. Putin singt nicht und der Empfang ist nicht besetzt."

"Vielleicht ist es ein Sonnensturm", mutmaßte er.

"Ein Sonnensturm? Davon habe ich nichts bemerkt. Außerdem wäre es sicher in den Nachrichten gekommen."

Armin  betätigte den Lichtschalter, obwohl es draußen noch hell war.

"Wir haben keinen Strom", konstatierte er. Dann trat er ans Fenster und blickte hinaus auf den Park.

"Putin fährt nicht mehr."

"Vielleicht ist er eingeschlafen? Machen Sonnenstürme schläfrig?"

Armin sah mich seltsam an:
"Hatte es auf der Fahrt zu mir eigentlich viel Verkehr?"

"Mhm...jetzt wo du es sagst: ich bin keinem einzigen Auto begegnet, ich hatte die ganze Zeit die Strasse für mich allein. Das heißt, nicht ganz, kurz vor der Anstalt musste ich einen Bauer mit einem uralten Traktor überholen."

"Du bist mit deinem alten hellblauen Opel Rekord gekommen, nicht wahr?"

"Ja, Bienchen hat den Auspuff wieder angemacht. Sie..."

"...das ist es! Typisch Sonnensturm: alle moderne Elektronik ist tot. Darum läuft dein Opel Rekord noch, der hat nur eine primitive Elektrik: Batterie, Lichtmaschine, Spule, Zündverteiler. Da kann nichts kaputt gehen. Genauso beim alten Traktor, den du überholt hast. In Putins Traktor hingegen hat es die Elektronik verschmort. Vielleicht hat es auch seinen Herzschrittmacher erwischt. Darum sitzt er noch immer auf dem Teil und bewegt sich nicht."

"...so schlimm ist das", fragte ich erschrocken. Da steht ja die halbe Welt still. Wir müssen sofort die Nachrichten einschalten und erfahren was los ist."

"Das nützt nichts. Es gibt keine Nachrichten mehr. Auch das Internet ist garantiert tot."

"Aber...was tun wir jetzt? Soll ich sofort nach Hause fahren und unterwegs noch das Nötigste einkaufen? "

"Nein, was du jetzt nicht hast, kriegst du nicht mehr. Die Läden sind dicht, die Kassen außer Betrieb und deine Plastikkarten wertlos. Am besten du bleibst hier in der Anstalt. Wenn die Welt dort draußen außer Rand und Band gerät, ist die Anstalt der sicherste Platz. "

"Aber du hast ja ein CB-Gerät und außerdem kannst du morsen. Sollten wir nicht einen Notruf absetzen und mit anderen Kontakt aufnehmen? Mit dem Katastrophenschutz, der Regierung, dem Militär? Wir könnten ja die Batterie aus meinem Rekord holen um dein Gerät zu betreiben."

"Wenn auf der Welt das Licht ausgeht, bleibt man am besten im Schutz der Dunkelheit. Außerdem werden wir jetzt etwas besorgen, das viel wichtiger ist, als die Batterie aus deinem alten Opel. Die Anstalt hat eine gut sortierte Vorratskammer."

Plötzlich spürte ich die raue Zunge meiner Katze im Gesicht. Ich blinzelte und blickte verwirrt auf die Uhr. Ganze zwei Stunden hatte ich geschlafen, dabei hatte ich mich nach dem Mittagessen nur für ein kurzes Nickerchen hingelegt. 



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