Mittwoch, 31. Oktober 2018

Der gedengelte WOK



Gestern war ich wieder bei Armin in der Anstalt. Diesmal schien es kein Traum zu sein, denn Putin sass auf seinem Traktor, sang Highway to Hell und kurvte über den Rasen. Auch Armin spann kein verrücktes  Doomsday Szenario. Dafür erzählte er mir eine spannende Geschichte, die mich an meinen Großvater erinnerte. Dieser war ein einfacher Bauer und die schönsten Momente, die ich mit ihm verbracht hatte, waren mit ihm auf der Bank hinter der alten Tenne zu sitzen, wenn er seine Sense dengelte. Dann erzählte er mir Geschichten von früher.
Armins Geschichte jedoch handelte nicht von früher, sondern von der gegenwärtigen Wirklichkeit, soweit ich das beurteilen konnte. Genau genommen, aus einer seiner Wirklichkeiten. Denn Armin war nicht zu seinem Vergnügen in der Anstalt, sondern wegen seiner Schizophrenie.
Dabei ist Armin nicht kränker als ich, er lebt nur in anderen parallelen Welten und kann Erinnerungen an Träume kaum von Erinnerungen an wirkliche Ereignisse auseinander halten. Aber das kann ich auch nicht.

"Kürzlich habe ich einen befreundeten Funkamateur getroffen", berichtete mir Armin. "Der funkt mit Mikrowellen, mit unglaublichen 10'368 MHz."

Bienchen hatte mir beigebracht, wie man aus der Frequenz die Wellenlänge berechnet. So  dividierte ich die Lichtgeschwindigkeit durch die Frequenz. Da mir ein paar Schuljahre fehlen, kann ich schlecht im Kopf rechnen. Aber als Armin zum Fenster hinausblickte, tippte ich die Zahlen heimlich in den Rechner meines Smartphones.

"Etwa 3 cm Wellenlänge", sagte sagte ich. Gut, dass mir Bienchen einen Trick beigebracht hatte: "Du brauchst nur 300 durch Megahertz zu teilen und schon hast du die Wellenlänge in Meter", hatte sie gesagt.

"Wo hast du denn plötzlich Rechnen gelernt?", staunte Armin.

Das wollte ich ihm nicht erklären. Deshalb sagte ich:

"Das ist im Vergleich zum Elfmeterband nur ein Fliegenschiss. Da werden die aber nicht weit kommen. Elfmeter Jedermannfunk geht manchmal bis Südamerika."

"Dafür sind die Mikrowellen-Antennen auch nicht so sperrig. Die verwenden nämlich Satellitenschüsseln oder Antennen, die aussehen wie übergroße Autoscheinwerfer. Dabei ist meinem Freund ein Unglück passiert. Er ist nämlich ein Meister der Improvisation und ein begeisterter Anhänger von Schraubzwingen."

"Das muss etwas Karmisches sein. Vermutlich war er früher ein Folterknecht und arbeitete mit Daumenschrauben", sinnierte ich.

"Wie dem auch sei, er befestigt all seine Antennen mit Schraubzwingen - normalerweise. Aber aus mir unbekannten Gründen hat er kürzlich die Schraubzwinge vergessen. Schlimmer noch: er hat für seine Antenne eine Wippe gebaut."

"Vielleicht hat er zuviel DMR gemacht", grinste ich. "Du weisst schon: Demenzradio."

"Oder einfach zuviel Tastenöl getrunken. Das braucht man zum schmieren von Morsetasten."

"Tastenöl? Das ist doch giftig!"

"Das trifft nur auf Mineralöl zu, seins ist jüngeren Ursprungs. Das wird übrigens mit dieser Einrichtung hergestellt". Armin zeigte mir das Bild eines seltsamen Laboratoriums:


"Ob Tastenöl oder DMR, das Resultat seiner Schraubzwingen-Vergesslichkeit war fatal. Er stellte seine Wippe auf den Fenstersims und darauf dann seine Autoscheinwerfer-Antenne, die aussieht wie ein WOK. Im Verlaufe seiner Mikrowellen-Experimente kippte die Wippe und seine WOK-Antenne geriet in den Sog der Gravitation vor dem Fenster."

"Was wollte er denn mit der Wippe? Muss die Antenne bei 3cm Wellenlänge gewippt werden, damit sie besser funktioniert?"

"So ähnlich: er wollte ihr etwas Elevation geben."

Elevation? Das klang wie Levitation - wohl etwas Esoterisches, dachte ich. "Und dann? War die WOK-Antenne kaputt? Was ist so besonderes an der Geschichte? Tagtäglich fallen Blumentöpfe von Fenstersimsen."

"Mein Freund hatte Glück. Es war kein Totalschaden, nur eine Beule." Eigentlich sagte Armin nicht Glück, sondern Schwein, wie das in unserem Dialekt üblich ist. Aber ich weiss nicht, ob all meine Leser Schweizerdeutsch verstehen. Item: die WOK-Antenne war kaputt, wenn ich die Story richtig begriffen hatte.

"Er hat sie wieder zurecht gedengelt", sagte Armin. "Obwohl ihm geraten wurde, den Beulen-WOK ins Altmetall zu werfen. Das ist der Clou der Geschichte."

"Wie mein Großvater die Sense. Eine Fertigkeit, die heutzutage nur noch wenige beherrschen." Ich war beeindruckt.

"Tja, er ist eben ein Problemlöser, und offenbar hat es geklappt. Das Teil funzt wieder wie zuvor."

"Mhm...glaubst du, dass man auch einen Autoscheinwerfer wieder dengeln kann, wenn er eine Beule hat? Der auf der linken Seite meines Opels hat nämlich eine."

"Das ist normal. Links ist immer eine Beule. Aber dengeln nützt da nichts. Die Wellenlänge des Lichts ist so klein, dass auch feinste Unregelmässigkeiten auffallen."

"Wo liegt denn die Dengel-Grenze...ich meine so in Wellenlängen ausgedrückt?"

"Die Faustregel ist: bei einem Zehntel der Wellenlänge. Das wären dann 3mm in diesem Fall. Im Prinzip könnte man so eine Parabolantenne auch mit dem 3D-Drucker herstellen und sie mit Haushaltfolie auskleben. Kleine Unregelmässigkeiten würden da kaum eine Rolle spielen."

"Das ist spannend. Wenn ich die HB3 Prüfung schaffe, möchte ich auch Mikrowellenfunker werden."

"Mikrowellen sind für HB3er tabu. Da müsstest du schon die HB9er machen. Die müssen aber mehr Antworten auswendiglernen."



     

1 Kommentar: