Sonntag, 28. Oktober 2018

Surpriseparty Zofingen


Gestern war es soweit. Ich durfte Sämu, den Trucker, zum Flohmarkt der Funker begleiten. Die Fahrt war angenehm in Sämus altem Benz. Doch halb sechs war reichlich früh. Die Autobahn war jedoch schon vollgestopft mit Autos und ich fragte mich, wo die so früh an einem verregneten Samstag hinwollten.
"Früher war zu dieser Zeit kaum jemand unterwegs", sagte Sämu. "Und wenn du mal einem anderen anderen Wagen begegnet bist, hatte der bestimmt eine Funkantenne auf dem Dach, und du konntest sicher sein, dass er ebenfalls zum Flohmarkt unterwegs war."
Immerhin gerieten wir in keinen Stau und Sämu konnte den Wagen in der Nähe der Flohmarkthalle parken. Sie war noch nicht geöffnet. Doch eine ganze Schlange Leute wartete bereits vor dem Eingang. Wie Schafe standen sie geduldig im Herbstregen. Ausgerüstet mit Handkarren voller Kisten und mysteriösen Geräten.

"Wieso warten die nicht einfach in ihren Wagen, bis der Veranstalter aufschließt?", fragte ich erstaunt.

"Sie wollen zu den Ersten gehören, die eingelassen werden. Es sind jedes Jahr die Gleichen. Der dort, zum Beispiel, ist ein pensionierter Schlapphut. Übrigens total allergisch auf Morsesignale. Wenn er welche hört, schnappt er über. Und der andere Typ dort drüben bringt jedes Jahr die gleiche Ware mit und karrt sie am Ende unverkauft wieder nach Hause. Es gibt bei allen Veranstaltungen immer Leute die wollen die Ersten sein, obschon ihnen daraus kein wirklicher Vorteil erwächst. Denk mal an die Spinner, die vor dem Apple Shop campieren, wenn ein neues Smartphone erscheint!"

"Woher haben die denn das viele Zeug? Schau mal den dort, der hat eine ganzen Zug von Handkarren dabei und kann sie nur mit Mühe im Zaum halten."

"Das kommt darauf an", meinte Sämu. "Die einen sind altersbedingt zu der Einsicht gelangt, dass sie ihren Plunder nicht ins Jenseits mitnehmen können und ihre Erben das Zeug auf den Schrottplatz bringen müssen, andere wollen schlicht ihre Rente aufbessern oder sich mit dem Erlös ein neues Gerät kaufen. Und dann gibt's noch die Typen, die ihre alte Firma geplündert haben, als sie pleite ging oder geschlossen wurde."

"Geklaut?"

"Kaum. Einfach erschnorrt haben sie das Zeug. Oder im Abfallcontainer gewühlt. Manchmal zwar am Rande der Legalität. Aber klauen tun die wenigsten.
"Zu welcher Sorte gehörst du, Sämu?"
"Ich habe einfach Spaß am Flohmarkt, und wenn dabei noch der eine oder andere Franken rausschaut, habe ich noch mehr Spaß,"

Während die Kolonne im Regen immer grösser wurde, gingen Sämu und ich Kaffee trinken und Gipfel essen. Dann half ich ihm, sein Zeug reinzuschleppen und auf den Tisch zu hieven.

Eine Weile schlich ich um Sämus Tisch herum und beobachtete ihn und seine Kunden. Zu tun hatte ich ja nichts und ich kannte niemanden aus dieser eigenartigen Gesellschaft.

Was mir sofort auffiel war, dass es sich zum grössten Teil um alte Männer handelte. Plus minus Pensionsalter. Viele schätzte ich eher im Plus. Junge oder Frauen fielen auf wie bunte Hunde.

Einige kamen mehrmals vorbei und namen immer den gleichen Gegenstand in die Hand um ihn von allen Seiten zu beäugen. Ganz ohne Worte, als wäre ihnen die Zunge gezogen worden. Aber wir sind ja nicht mehr im Mittelalter wie in Saudi Arabien. Andere fragten x-mal nach dem Preis. Vermutlich eine besondere Art Gedächtnisverlust: Preis-Demenz.
Eine besondere Sorte Preis-Dementer fragt übrigens immer nach dem "letzten Preis". Im Gegensatz zum Lotto, wo jeder den ersten Preis möchte.

Als es mir bei Sämu verleidete, schlenderte ich durch die Gänge zwischen den Tischen und schaute mir die Waren an. Sie waren ganz unterschiedlich präsentiert. Die einen hübsch herausgeputzt mit polierten Knöpfen und artig drapiert wie in einem Schaufenster. Das waren die Verkaufsprofis, sagte ich mir. Vielleicht waren sie vor ihrer Pensionierung Verkäufer oder gar Marketingleiter gewesen. Oder sie hatten sogar MBA studiert. Aber die wären mir sicher durch Krawatten und gelierte Haare aufgefallen.

Andere Verkaufsstände fielen durch Türme auf. Sie erinnerten mich unwillkürlich an den Turm von Babylon. Einige italienische Türme an den schiefen Turm von Pisa. Die Geräte waren einfach aufeinandergeschichtet, so hoch wie möglich. Die Verkäufer dahinter waren kaum noch zu sehen. Eine sehr platzsparende Methode. Die Schweiz ist halt ein teures Land und der Meter Tisch kostete zwanzig Franken, wie ich erfuhr. Geiz ist zwar geil, ob er auch verkaufsfördernd ist?

Was sich nicht zu Türmen aufbeigen ließ, wurde gerne als Wühlkiste präsentiert. Diese Art von Präsentation ist aus dem Ausverkauf bekannt und ich finde, sie passt ganz gut an einen Flohmarkt. Allerdings erwartet der Kunde in der Wühlkiste keine wertvollen Dinge. Wühlkisten drücken auf die Preise.
Das weiß ich von Armin. Der hat nämlich einen MBA. Das ist ein Studium so ähnlich wie der Master of the Universe. Er hat mir viele wertvolle Tipps gegeben. Dort lernt man nämlich so gescheite Dinge wie: "Buy low, sell high."
Das ist mir bei einem Verkäufer aus dem Süden aufgefallen. Der hatte jede Menge Material aus China, das er sich günstig auf Ebay besorgt hatte und nun teuer an die alten Schweizer Rentner verkaufte, die Ebay und Alibaba nicht kennen.
Wieso ich das weiß? Ich habe mit dem Mann gesprochen. Er hat mir auch erklärt, was die kleinen vergoldeten Dinger waren, die er haufenweise im Angebot hatte: so genannte SMA-Stecker.
Das war echt neu für mich, denn mein Präsident Jackson hat einen UHF Stecker. Der ist übrigens viel praktischer, da passt zur Not auch ein Bananenstecker rein.

Apropos Präsident Jackson. Zweimal hab ich auf meinem Rundgang so ein Teil entdeckt und ich hätte beinahe eins gekauft. Denn ich hänge sehr an meinem Präsidenten und es würde mich schmerzen, wenn er eines Tages seinen Geist aufgeben würde. Da wäre es doch gut, einen auf Reserve zu haben.
Leider waren beide Präsidenten-Verkäufer wenig zugänglich und zeigten kaum Interesse. Ja, sie demonstrierten deutlich ihren mangelnden Verkaufswillen. Der eine pfiff unbeeindruckt vor sich hin und wühlte in einer Kiste, als ich ihn ansprach. Der andere bestrafte mich mit einem abschätzenden Blick. Wahre Profis und eigentlich untypisch für Welschschweizer. Aber vielleicht waren es ja Franzosen. Die sind manchmal etwas arrogant. Hundertfünfzig Franken für einen Präsidenten waren mir zuviel und so verzichtete ich auf diese Ausgabe zum Zweck der Redundanz. Für einen AHV-Rentner ist das halt viel Geld. Abgesehen davon, dass ich den Verdacht hege, dass ich schon bald meinen Opel Rekord ersetzen muss. Trotz dem neu geschweißten Auspuff.

Die meisten Geräte und Bauteile waren für mich Neuland. Ich wusste nicht, worum es sich dabei handelte. Und so bat ich Sämu, mich auf einem Rundgang durch die Halle zu begleiten, als sich die Reihen seiner Käufer lichteten. Sämu ist ja CB-Veteran und HB3er Spezialist und konnte mir das meiste erklären. Obwohl ich manchmal nur "Bahnhof" verstand, gelang es ihm, meinen Horizont etwas zu erweitern.

"Die dort oben auf der Bühne", erklärte er mir, "sind eine eigene Gesellschaft." Er deutete auf ein Podest am Ende der Halle. So eine Art Tanzbühne.

"Aha, deswegen haben sie sich in die Höhe abgesondert. Wieso gehören die nicht zur Kaste der Funker?"

"Das sind Radiosammler. Eine besondere aber aussterbende Spezies. Seit in Europa die Mittelwellensender abgeschaltet wurden, bleiben ihre alten Kisten stumm. Die Apparate spielen nicht mehr."

"Und jetzt wird auch noch UKW durch DAB ersetzt", warf ich ein.

"Das wird die dort unten auch noch treffen." Er deutete hinunter in den Flohmarkt der Funker. "Nur wissen sie es noch nicht. Amateurfunk wird immer mehr durch FT-8 und DMR ersetzt."

"FT-8 kenne ich nicht. Aber DRM...mhm....das klingt wie eine Abkürzung für mein neues Blog Demenzradio: DMR."

Sämu grinste und deutet auf die uralten Radioapparate, Bücher und Bauteile:
"Es ist tragisch. Da steckt viel Herzblut drin. Weniges wird irgendwo in einem technischen Museum landen, das meiste wird aber von den stählernen Zähnen der Schrottverwerter zermalmt werden. Die Erben werden fluchen, wenn sie den Plunder räumen müssen."

Etwas deprimiert stiegen wir wieder hinunter in das Gewühle des Funkermarktes. Nostalgiker, die sich an ein sterbendes Hobby klammerten, dachte ich. Trotzdem: gewisse Dinge sollte man ruhig seinen Erben überlassen.

Doch Sämu zerstreute meine trüben Gedanken mit einem Ausruf:

"Siehst du diese Kisten dort. Das sind Yesus. Gute Geräte, leider aus dem Rahmen der Zeit gefallen. Sie haben keinen Bildschirm. Der angeschriebene Preis ist daher viel zu hoch und der Verkäufer wird sie heute Abend wieder nach Hause nehmen."

"Jesus Geräte? Aus den Werkstätten des Vatikans?"

"Nein, Y.A.E.S.U. Aus Japan. Die haben andere Götter. Früher hießen die Dinger in Europa auch Sommerkamp."

"Wieso denn das?"

"Das war der Name des Generalimporteurs und der fand seinen Namen viel prägnanter als Yaesu."
"Und dort drüben, diese Kisten mit den gelochten schwarzen Gehäusen: Das sind Drake. Eine legendäre amerikanische Marke, die schon lange untergegangen ist..."

"...wie die Titanic..."

"Viel zu teuer", bemerkte Sämu. Die haben nur noch Nostalgiewert. Aber die Verkäufer rechnen noch immer in Kilopreisen. Waren wohl früher Gemüsehändler."

"Einige waren wohl Fischhändler", entgegnete ich. "Der Stand vorhin roch seltsam."

"Er müffelt", grinste Sämu. Nicht der Verkäufer, es sind seine Geräte. Sieh mal wie dreckig die sind. Gelb die Skalen, die Knöpfe voll mit Handcreme und Fettresten. Da müsste man mit dem Kärcher dahinter. Diesen Güsel kauft doch keiner, ohne sich vorher mit Schnaps desinfiziert zu haben."

"Und trotzdem will er noch so viel Geld dafür?"

An zwei Enden der großen Halle trafen wir auf lange Stände mit einer Schar fleißiger Verkäuferinnen und Verkäufer. Sie boten offensichtlich Neuware an und machten gute Geschäfte. Trauben von Käufern schwirrten um die Stände und verwickelten die Verkäufer in ausufernde Gespräche. Sachkenntnis wurde demonstriert, der Dunning-Kruger-Effekt strapaziert.
Der eine Stand sah aus wie ein improvisierter Schuhladen. Der am anderen Ende setzte voll auf Chaos. Ein interessantes Verkaufskonzept. Doch die Kunden schien es nicht zu stören. Sie wühlten in den Kisten.

An einem Gerät blieben Sämus Augen eine Weile hängen. Es stand auf Augenhöhe und wurde von einer kleinen Lampe beleuchtet. Man sah: der Anbieter verstand etwas von seinem samstäglichen Metier.

"Das ist ein Sommerkamp FT-102", flüsterte Sämu fast andächtig.

"In der Tat, ein sehr schönes Gerät", bemerkte ich. "Wär das nichts für mich? Ich meine, wenn ich die HB3er habe?"

"Nein. Leider nein. Es ist ein altes Gerät. Zwar kräftiger als manch modernes Zeug, mit drei Röhren in der Endstufe. Aber auch reparaturanfällig. Die Relais zum Beispiel musst du auf jeden Fall auswechseln und die Elkos auch. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Und schau mal: der VFO hat einen Backlash. Da ist kein Encoder, der dahinter steckt, das ist ein überfetteter Skalentrieb."
Er drehte am Abstimmknopf und als er ihn losließ sah ich tatsächlich, wie sich der Knopf ein klein wenig wieder zurück bewegte.
"Wen's stört", brummte ich.

"Der Empfänger besitzt zwar keinen Splitbetrieb aber er ist so gut wie bei neueren Geräten, und der Sender hat viel Power. Aber das Teil ist leider eine Kummerkiste. Museum oder Schrottplatz ist seine Bestimmung, und da liegen fünfhundert Stutz nicht drin."

Aha, dachte ich: Präsentation Spitze, Preis Illusion.

So schlenderten Sämu und ich noch eine Weile durch die Reihen und er wusste fast zu allem einen Kommentar. Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.

"Schade, dass Armin nicht mitkommen konnte", sagte ich. "Aber er muss in der Anstalt bleiben. Ausgang liege nicht drin, hat mir sein Doc gesagt. "Er hätte hier eine Panik-Attacke bekommen".

"Die hab ich manchmal auch und ich frage mich jedesmal, wieso ich eigentlich hierher komme."

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