Dienstag, 23. Oktober 2018

Maxwell klingelt an der Tür


Bienchen war erstaunt über meine elektrischen Kenntnisse. Obwohl sie bei meinen Erklärungen das Gesicht verzog als hätte sie Zahnweh, konnte sie doch nichts grundlegend Falsches daran finden. Ich hatte ihr erklärt, wie man den Spannungsabfall berechnet, den der Strom "liegen lässt" und ich hatte ihr gezeigt, wie man die elektrische Leistung in Watt und die Arbeit in Wattstunden berechnet.
Wenn sie mich jetzt nicht für die Lizenzprüfung zum Funker ausbilden wollte, musste sie wirklich gute Gründe finden.

"Mhm...mhm", machte sie und legte ihren Kopf leicht schräg. "Auch wenn deine Erklärung reichlich komisch war, ist sie im Prinzip richtig. "Du scheinst mehr auf dem Kasten zu haben als ich dachte. Doch bevor ich in das gewagte Unterfangen einwillige, dir beim Lernen für die Prüfung zu helfen, muss ich sicher sein, dass die ganze Übung nicht für die Katz ist."

"Du zweifelst an mir und meinen Fähigkeiten?"

"Nicht an den Fähigkeiten, mein Lieber. Die HB3er Prüfung schafft auch ein Halbschlauer. Wie steht es mit deinem Durchstehvermögen? Wie kann ich sicher sein, dass du nicht auf halbem Weg den Bettel plötzlich hinwirfst? Wie steht es mit deiner Motivation?"

"Meine Motivation sind meine Träume. Ich arbeite ja schon für Guglielmo Marconi und hänge fast jede Nach seine Antennen in die Tannen des Vallée du Trient. Und neuerdings war ich sogar Hilfsfunker auf der Titanic."

"Träume sind Schäume. Im Licht des Tages zerplatzen sie wie Seifenblasen. Das reicht nicht."

"Was könnte dich denn wirklich überzeugen, Bienchen?"

Sie legte ihre Stirn in Runzeln. Plötzlich hellte sich ihr Gesicht auf und mit einem schelmischen Lächeln erklärte sie: "Nun, du hast mir die Sache mit dem Strom erklärt. Aber könntest du mir auch die Sache mit den elektromagnetischen Wellen erklären?"

Mir kam sofort mein Gespräch mit Armin über Antennen in den Sinn, vielleicht würde mir das helfen. Doch dann erinnerte ich mich an einen ganz besonderen Traum:
"In einem meiner Träume habe ich einmal Herrn Maxwell aus Schottland getroffen, und wir haben bei einem Bier in einem alten Pub über seine Arbeit diskutiert. Er hat mir vier Gleichungen auf einen Bierteller geschrieben. Würde es dir helfen, wenn ich sie dir erklären würde?"

Bienchen schaute mich an, als wäre ich ein Gespenst:
"James Clerk Maxwell, den Physiker? Du kennst seine Gleichungen? Das glaube ich nicht!"

"Doch, doch, ich habe sie im Traum gesehen, und ich glaube, dass ich sie verstanden habe."

Bienchen schlug die Hände vors Gesicht und gab einen eigenartigen Laut von sich. Ich wusste nicht, ob sie lachte oder weinte. Am besten war wohl, wenn ich tat, als würde ich es nicht bemerken:
"Seine erste Gleichung besagt, dass ein elektrische Ladung ein elektrisches Feld erzeugt, und die zweite, dass ein magnetischer Einpol nicht existiert und folge dessen auch kein magnetisches Feld erzeugen kann", erklärte ich.

Bienchen sah mich nur wortlos an, so fuhr ich weiter:

"Die dritte besagt, dass im freien Raum ein sich änderndes elektrisches Feld ein magnetisches Feld erzeugt und die vierte das umgekehrte davon."

Bienchen lächelte.
"Na ja, wir wollen jetzt nicht zu sehr ins Detail gehen. Aber immerhin scheinst du zu verstehen wieso elektromagnetische Wellen überhaupt entstehen und sich ausbreiten können. Allerdings bezweifle ich, dass du die Gleichungen wirklich verstanden hast."

"Du meinst das mit der Rotation und der Divergenz? Maxwell hat sie mir übrigens in differentieller Form gezeigt. Mit Integralen hab ich's nicht so."

"Huch die Waldfee", entfuhr es Bienchen.

"Ich habe das auch in der Praxis ausprobiert!"

"Mit deinem Präsident Jackson?" Bienchen grinste.

"Nein, ich habe einen Sender selbst gebaut, und zwar nicht im Traum sondern in der Realität."

"Mit Röhren oder Transistoren?"

"Weder noch. Mit einer Klingel - einer alten elektrischen Klingel. Die ist nämlich sehr einfach aufgebaut. Ein Elektromagnet zieht den Klöppel an, der an die Glocke schlägt. Dieser unterbricht den Stromfluss und der Klöppel fällt wieder zurück in seine Ruheposition. Im Unterbrecherkontakt entstehen dabei Funken. Hängt man eine Antenne dran, dann funkt es. Ich habe damit das Morsealphabet geübt."

"Verrückt!", sie schüttelte den Kopf. "Du hast damit sicher alle Radioapparate der Nachbarschaft gestört.

"Nein. Ich habe nur auf Kurzwelle gesendet, denn ich habe meinen Klingelsender über einen Schwingkreis abgestimmt. Wer hört denn heute noch Kurzwelle?"

Bienchen sah mich eine Weile abschätzend an, dann sagte sie:

"Gut. Du hast mich überredet. Morgen beginnen wir mit dem Unterricht."



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